Kalkül und Dilettantismus – krankes System

Die Reaktionen auf Daniel Düngels Bemerkung zu „krankes System“ waren ja durchaus vielfältig. Er bezog sich mit dieser Bezeichnung auf einige Aspekte des Parlamentarismus. Einen besonderen Aspekt in den Reaktionen darauf möchte ich hier einmal herausgreifen.

So versucht Theo Schumacher in der WAZ, die Piraten wieder einmal in die rechte Ecke zu stellen (letzter Absatz) vermittels der Bemerkung, dass dieses spezielle Wording „krankes System“ eben in Neonazikreisen verwendet würde.

Seltsam nur, vor ein paar Wochen noch war die Piratenfraktion im Landtag NRW „von Links“ falsch beraten und ferngesteuert und speziell ich galt als Marxist.

Nun kann man das einfach als unprofessionelles Herumeiern eines einzelnen Journalisten abtun.

Dies könnte übrigens auch mit den Argumenten abgeschmettert werden, dass die Süddeutsche im Mai letzten Jahres einen Beitrag zu deutschen Rüstungsexporten als „krankes System“ betitelte, dass die Grünen-Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn zu Lebensmitteln, Tierfabriken und Biosprit von einem kranken System sprach und dass SPD-Politikerin und jetzt Ministerin Andrea Nahles bereits 2011 im Kontext der europäischen Griechenland-Politik von einem kranken System sprach. Demnach müssten ja alle drei als politische Rechtsausleger gelten.

Allerdings neige ich zu einer anderen Interpretation.

Das bloße Wecken der Assoziation – „Die Piraten sind doch möglicherweise rechts“ ist ein eiskaltes politisches Kalkül, um die Piraten in der WAZ-Leserschaft als undemokratisch zu diskreditieren. Es werden zudem bewusst Ressentiments und billige Vorurteile geschürt.

Und auf eine andere Art ist diese Vorgehensweise eben auch dilettantisch – sie informiert nicht und sie diskutiert nichts, sie fällt weit unter das Niveau der aktuellen politischen Debatten zurück, indem sie wieder einmal – auf allerbilligste und populistische Weise – das bipolare Links-Rechts-Schema bedient.

Vielleicht kann man ja auch gar nicht anders. Dann aber muss der deutliche Hinweis auf eben diese eindimensionale bipolare Störung „links-rechts“ im politisch-medialen Betrieb erlaubt sein – krankes System.

Akut haben wir es auch in den Medien mit einem Mangel an politischer Phantasie und mit einer Krise des Denkens zu tun.

In meinem jüngst veröffentlichten Buch „TRANS- Reflexionen über Menschen, Medien, Netze und Maschinen“ gehe ich auf diesen Aspekt detailliert ein, den aktuellen sich häufenden Krisen eine Interpretation als Krise des Denkens beizustellen. Daher ist der Erwerb dieses Buches möglicherweise nicht nur für mich ein Gewinn.

Aber selbstverständlich wird auch dieser Blogbeitrag medial ignoriert werden. Wetten?

Medien haben es eben nicht immer gern, wenn die eigene Vorgehensweise reflektiert wird.

Allerdings wird die Informations- und Wissensgesellschaft ganz sicher andere Medien brauchen. Ansätze dazu sind stellenweise schon zu erkennen.

Aber derartig vorgehende Redakteure sind nicht in der Lage, zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung irgendeinen sinnvollen Beitrag zu leisten.

Aber vielleicht sollte ich mich bei Herrn Schumacher einfach nur für diese Steilvorlage bedanken.

In diesem Sinne,

Nick H. aka Joachim Paul
Fraktionsvorsitzender der Piratenfraktion im Landtag NRW

5 Gedanken zu „Kalkül und Dilettantismus – krankes System

  • Pingback: #KrankesSystem Parlamentarismus | Carta

  • 19. Januar 2014 um 11:18 Uhr
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    Lieber Dietmar,
    auch bei mir geht das im Grunde schon länger so. Du hast recht, es ist ja nicht nur das. Ganz offensichtlich markieren viele Medien Endstellen, vulgo schwarze Löcher der Reflexion der eigenen Funktion. War es nicht Schröder, der mal gesagt hat, gebt mir RTL und Bild zum regieren, o.ä.?
    Die Berichterstatter über Absurdistan gehören zum Herrschaftssystem, sind also die vierte Gewalt und damit selber Bestandteil von Absurdistan.
    Zu einer eigentlich dringend nötigen Emanzipation der Gesellschaft gegenüber dem Staat trägt das nicht gerade bei.
    Wir müssen also verstärkt auf das Internet setzen und im Bereich der Printmedien unsere schöne „Landtag Intern“ empfehlen.
    LG, Joachim

  • 19. Januar 2014 um 11:05 Uhr
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    Danke, lieber Timm,
    hoffe, wir sehen uns demnächt mal. Dein Ding in der WAZ find ich gut.
    LG, Joachim

  • 18. Januar 2014 um 20:06 Uhr
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    Habe mal nen Kommentar beim WAZ-Artikel hinterlassen (#2).
    Euch alles Gute und viel Erfolg!

  • 18. Januar 2014 um 19:50 Uhr
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    Was die mediale Ignoranz und Selbstreflexion angeht … hatte schon 2005 diese Gedanken. http://europhonie.blogg.de/2005/02/23/faz-net-watscht-journalisten-abkonservativismus-contra-informationsgesellschaft/
    Damals ging es mir u.a. ferner um Tendenzen der Totalüberwachung in Deutschland. Auch damals bedauerte ich, dass meine Gedanken zuwenig Aufmerksamkeit erlangen würden. Wer mag: http://europhonie.blogg.de/2005/03/29/der-totale-uberwachungsstaat-als-spd-vermachtnis-ruckt-naher/
    Schon 2005 standen wir vor einer Art Abgrund … heute sind wir mindestens einen halben Schritt weiter. Aber heute haben wir, habe ich die Möglichkeit – du auch ! – den Finger in die Wunde zu legen und dank erhöhter Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu „mahnen“.
    Tun wir. Machen wir also weiter!
    Heute gilt ganz offensichtlich mehr noch als damals: Wer sich gegen die Zunahme der Überwachung durch den Staat und damit „kranke Systeme“ zur Wehr setzt, muss mit allen Mitteln bekämpft werden.
    Und zu diesen Mitteln gehört als Klassiker offenbar der Links/Rechts-Schubladen-Journalismus. Halt ideenlos. Wie du schon schreibst, Joachim.
    Zu dieser Sorte der Ewiggestrigen gehört zweifelsohne Theo Schumacher. Manche Journalisten, die es offenbar ablehnen, die Zeichen der Zeit zu erkennen und deshalb verhaftet im Konservativismus gegen die Entwicklung schreiben, sollten verstärkt über ein „Altenteil“ nachdenken und sich auf die reine Lektüre verlegen anstatt den Blätterwald durch fragwürdige Beiträge zu verunstalten.

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