Einführung

 

"Ja mach nur einen Plan
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch ´nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht."

(Jonathan Jeremiah Peachum, Besitzer der Firma "Bettlers Freund",
in Bertolt Brechts Dreigroschenoper).

Im Anschluß an den Prolog läßt sich die Ansicht Peachums auf eine immer noch existierende Unternehmensphilosophie beziehen, die auch in heutigen Zeiten wenig an Relevanz zu verlieren scheint: der Voraussehbarkeit, Planbarkeit und Machbarkeit von Problemlösungen.

Der Betriebswirtschaftslehre als ein Teil der Wirtschaftswissenschaften kommt die Aufgabe zu, sich mit dem Aufbau und den Abläufen in Betrieben zu beschäftigen und deren Gestaltungsmöglichkeiten zu untersuchen. Ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse dienen denjenigen Unternehmen im Wertschöpfungsprozeß, die von Krisen heimgesucht werden und unzeitgemäßen Führungskonzepten unterliegen.

Begriffe wie "Lean-Management", "Kaizen" oder "Kontinuierlicher Verbesserungsprozeß (KVP)" sind Konzepte, die in irgend einer Art und Weise unter anderem Namen vielfältig benutzt und den heutigen Zeiten, gekennzeichnet durch steigende Anforderungen an die Unternehmen, angepaßt werden. Vorwiegend handelt es sich bei diesen Konzepten um Entwicklungskonzepte für Betriebe insbesondere für größere Unternehmen.

Dem Konzept der "Lernenden Organisation" wird in der aktuellen Betriebswirtschaftslehre eine zunehmende Bedeutung für die Entwicklungsfähigkeit einer Organisation beigemessen. Dabei existieren zwei wichtige Aspekte, warum sich Unternehmen mit dem organisationalen Lernen beschäftigen: zum einen als Antwort auf den technologischen Wandel und zum anderen als eine alternative Form industrieller Organisation in einer durch große Unsicherheit gekennzeichneten Welt.

Struktur und Kultur vieler Unternehmen haben sich historisch in einer Umwelt entwickelt, die als überwiegend stabil und überschaubar angesehen werden konnte. Abgesehen von den weltweiten Umbrüchen und Turbulenzen wird besonders in Hinblick auf die Diskussion über die Qualität des Standortes Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Schaffung des Europäischen Binnenmarktes die Frage nach notwendigen betriebswirtschaftlichen Untersuchungen aufgeworfen, sich mit neuen Produktions- und Managementformen auseinanderzusetzen. Da es sich bei der derzeit gegebenen wirtschaftlichen Situation wohl kaum -wie bisher- um einen kurzfristigen konjunkturellen Einbruch, sondern mehr um langfristige Veränderungen handeln dürfte, wird es für die Unternehmen immer notwendiger, bereits frühzeitig und schnell antizipierend neue Überlegungen anzustellen, und nicht erst dann, wenn die Situation krisenhafte Formen annimmt.

Erschwerend wirkt dabei, daß für die Änderung von Unternehmensstruktur und- Kultur pauschale Erfolgsrezepte nicht existieren. Das Bekanntwerden immer neuer Schlagwörter von "Management-Gurus" darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß jedes Unternehmen aufgrund der Spezifika seiner Kultur, seiner Struktur und seiner Belegschaft einen für die jeweilige Situation passenden Weg finden muß.

Neben unterschiedlichen Betrachtungsweisen von Menschen in einem Unternehmen ("buttom-up"; "top to down") ist es schwer abstreitbar, daß trotz zunehmender Arbeitsteilung, einer steigenden Mitverantwortung von Mitarbeitern und diversen Gruppenkonzepten (team-work, Total Quality Management) das Management die Schicksale einer Unternehmung entscheidend beeinflußt. Spricht man von Entwicklung einer Unternehmung, hat das Management einen recht hohen Anteil am Prozeß der Entwicklung einerseits sowie an den Konsequenzen andererseits. Aus diesem Grund erscheint es trotz einer oftmals gleichsetzenden Analogie gerechtfertigt, einen Großteil der Ergebnisse von Entwicklungsprozessen dem Management zuzuschreiben.

Aufgabe der vorliegenden Arbeit soll es sein, einen Einblick in das Konzept der "Lernenden Organisation" (LO) als eine Möglichkeit der entwicklungsfähigen Unternehmung zu geben. Entwicklung wird in diesem Zusammenhang vereinfacht als ein Prozeß der Veränderung über einen bestimmten Zeitraum hinweg verstanden; im besonderen als eine Erhöhung des Problemlösungspotentials und der Handlungsmöglichkeiten von Organisationen. In diesem Zusammenhang ist trotz der schwer abstreitbaren Bedeutung des Managements der Betrachtungsschwerpunkt auf die Organisation zu lenken.

Die Konzeption der LO stellt besonders auf den Prozeß von Unternehmensentwicklungen ab. Im Rahmen von Entwicklung wird dem organisationalen Lernkonzept die Prozeßkomponente zugeschrieben. Eine Entwicklung als in diesem Sinn verstandener langfristig angelegter Prozeß soll keine Reaktion auf aufgetauchte akute Probleme mehr sein.

Das erste Kapitel wendet sich zunächst einer allgemeinen Organisationstheorie zu, um einen verständlichen Hintergrund von Organisationen zu schaffen. In diesem Zusammenhang werden Entwicklungsstufen von Organisationen in ihrem zeitlichen Ablauf wiedergegeben.

Eine neuere Entwicklung der Organisationsbetrachtung ist der systemtheoretische Ansatz der Betriebswirtschaftslehre. Dieser Ansatz greift die bisherige Partialbetrachtung von Aufbau- und Ablauforganisation auf und spricht im Zusammenhang des "neuen" Organisationsverständnisses von Gesamtheiten; dies erscheint hilfreich zu sein, da gerade Lernprozesse, in einem organisationalen Verständnis, alle Bereiche einer Organisation erfassen. Aus diesem Grund wird diesem Ansatz das zweite Kapitel gewidmet.

In der Betriebswirtschaftslehre wird seit der Ölkrise in den 70er Jahren von einem Paradigmawechsel gesprochen (vgl. Mann 1993, S. 15). Das Denken in Unternehmen und ihren Hierarchien verläuft im klassischem Sinn nachwievor linear und scheinbar nicht immer problemorientiert. Vor diesem Hintergrund wird die Problematik des Wandels aufgegriffen und skizziert, aus welchen Ursachen heraus die Forderung nach einem neuen Paradigma entsteht.

Dieser geforderte Paradigmawechsel wird geleitet von einem neuen Verständnis der Unternehmensumwelt. Unternehmerisches Handeln kann sich nicht mehr nur auf Kosten-Nutzen-Analysen beschränken. Die Organisation steht auch in besonderer Beziehung zu ihrer Umwelt. Dies hat auch Auswirkungen auf die Entwicklungskonzepte. Das vierte Kapitel geht auf bewährte Entwicklungstheorien der Organisationsentwicklung ein und entdeckt das Lernen als möglichen Ausgangspunkt von Entwicklungsprozessen. Neben den Zielen und einigen dargestellten Ansätzen wird anschließend diskutiert, inwieweit die Organisationsentwicklung als Grundlage einer entwicklungsfähigen Unternehmung dienen kann.

Anschließend greift das folgende Kapitel das Phänomen "Lernen" intensiver auf und vermittelt eingangs einige Erkenntnisse aus der Lernbiologie, der Lernspychologie sowie spezieller Lerntheorien. Das organisationale Lernen wirft nachfolgend die Frage nach Trägern von Lernprozessen auf. Entsprechend wird eine differenzierte Betrachtung von möglichen Lernträgern vorgenommen, um diesen anschließend unterschiedliche Lernniveaus zuzuordnen. Individuelles Lernen ist bekanntermaßen auch immer von einem individuellen Lernumfeld abhängig. Organisationales Lernen muß daher auch an einen organisationalen Rahmen gebunden sein, dessen Bedeutung aufgegriffen und herausgestellt werden soll.

Der organisationale Lernprozeß wird Bestandteil des angesprochenen Paradigmawechsels. Entgegen der soziologischen Systemtheorie und auf betriebswirtschaftliche Organisationen übertragen, rückt dieser von der Offenheit zwischen Unternehmung und Umwelt ab, und fordert eine gewisse "Geschlossenheit" von Organisationen. Hieraus können Selbstbeobachtungen und Selbstbeschreibungen wachsen, die durch notwendige Kommunikationen organisationale Lernprozesse unterstützen können.

Abschließend werden die Erkenntnisse aus dieser Arbeit zusammengefaßt sowie der Versuch unternommen, die Interdependenzen von organisationalen Lernen und dem Entwicklungspotential einer Unternehmung herauszustellen.

 

© 1997 Gerald Lembke
GL-EDV