vordenker entrance page

 

 

Borderline - freies Feld

aus Kollegengespräche

Bruno Kartheuser und A. J. Weigoni

WEIGONI: Abseits des Zeitgeistes geben sich Literaturzeitschriften mit kleinen Auflagen und einem fachkundigen Publikum zufrieden. Manchmal scheint es mir, als ob die Herausgeber von Literaturzeitschriften die letzten Idealisten sind - oder wie sehen sie ihre Arbeit?

KARTHEUSER:Unser erster Impuls ist natürlich nicht die idealistische Selbstaufopferung. Wir sehen uns publizieren und geben aus objektiver Notwendigkeit heraus. Ostbelgien ist eine Kleinstregion mit 70.000 Einwohnern, konstituiert als deutsche Sprachgemeinschaft in Belgien. Alles funktioniert im Kleinstformat, leider ist dies auch Auskunft über den Horizont und die Perspektive derer, die dieses Gärtchen politisch verwalten und organisieren. Das gilt ebenfalls für die hier tätigen Medien. Die Literatur, wie wir sie vertreten und zu akkreditieren versuchen, wird von den Offiziellen nicht geschätzt. Es gibt viele Indizien von Missachtung und viele Erstickungsversuche. Dass unsere Initiative nach 16 Jahren noch lebt, verdanken wir hauptsächlich der Tatsache, dass wir unsere Aktivität nach aussen hin vernetzt haben und dass sie von vielen Stellen, Instanzen und Regionen ausserhalb Ostbelgiens unterstützt wird. Obschon wir nach meinem Dafürhalten in exemplarischer Weise europäischen Brückenschlag betreiben, erfahren wir von Seiten der europäischen Institutionen keine Hilfe oder Unterstützung. Wir halten die Arbeit aber für notwendig, immerhin stellt sie auch eine Sauerstoffzufuhr für die Gegend dar.

WEIGONI: Literaturzeitschriften haben es schwer. In ihren Anfängen wurden sie von der Kritik gelobt, später des öfteren getadelt und in den 90ern ereignet sich, was die professionelle kritische Rezeption angeht, etwas Verblüffendes, nämlich so gut wie nichts. Wie gehen Sie mit Krautgarten auf die Leserschaft zu?

KARTHEUSER: Zunächst ist festzuhalten, dass es in den zwei Medien unserer Gegend keine Kritik gibt. Nach aussen hin wird die Zeitschrift von den Medien kaum registriert, da sie keine kommerzielle Basis hat. Kritischen Spiegel halten uns allenfalls die Autoren vor, die die Zeitschrift kennen. Dass Krautgarten sich hoher Wertschätzung erfreut, lesen wir auch von dem Zuspruch ab, den die Zeitschrift in so vielen Regionen und Ländern findet, zum Beispiel Rheinland-Pfalz, Luxemburg, Wallonie, Flandern, Schweiz und Österreich. Leider haben wir keine ausreichende Infrastruktur und ausreichende Mittel, um eine professionelle Verbreitung und einen professionellen Vertrieb in all den Regionen zu organisieren, die wir berühren.

WEIGONI: Muss man als Editor einer Literaturzeitschrift ein Masochist sein?

KARTHEUSER: Nein. Ich fühle mich auch nicht als Angehöriger einer Zunft. Die Gründung der Zeitschrift vor 16 Jahren war ein spontaner Einfall. Die Einschätzung war richtig, die Zeitschrift hat sich behauptet und bedeutend ausgeweitet. Aber solange die in unserem Gebiet für Kultur- oder Literaturpolitik Zuständigen nichts unternehmen, um minimale Regelungen und Rahmenbedingungen festzulegen, bleibt die halbjährliche Herausgabe eine anspruchsvolle Arbeitsleistung. Dies gilt nicht für die inhaltliche Zusammenstellung und die Beschaffung von Manuskripten, sondern für die materielle Absicherung und die Finanzierung. Ausnahmsweise konnte ich vier Jahre diese Arbeit als Literaturbeauftragter ausführen, das ist aber die Ausnahme geblieben, und so geschieht der Einsatz weiterhin in Selbstausbeutung, ab 1998 noch in verstärktem Masse. Das ist weder Idealismus noch Masochismus, sondern eher ein Abwägen von Kräften, von Chancen und zumutbaren Opfern. Bis jetzt hat diese Abwägung immer zu einer Weiterführung der Aktivität geführt. Das wird nicht immer so bleiben.

WEIGONI: Der Lyriker Axel Kutsch bezeichnet sich in seiner Funktion als Herausgeber als Registrator, wie sehen Sie sich?

KARTHEUSER: Es ist mehr als registrieren. Pro Ausgabe gehen uns Manuskripte von etwa 60-70 Autoren zu. Zurückbehalten werden deren maximal 25. Hier ist die Auswahl entscheidend. Wir haben die Redaktionsarbeit früh auf kollegiale Basis gestellt. Heute sind wir fünf Redaktionsmitglieder, die für die Auswahl und damit für das Profil der Ausgabe zuständig sind. Eine klare Option besteht in der Hinwendung zu mehreren Ländern und Regionen. Es gehört mit zu den wichtigsten Anliegen der Zeitschrift, ihren Lesern die jeweils unterschiedliche Sensibilität im literarischen Schaffen verschiedener Länder vorzuführen. Heutige flämische Lyrik bringt andere Töne und eine andere Poetologie als die luxemburgische oder die schweizerische. Wir glauben überhaupt nicht an nationale Schulen, stellen aber fest, dass Regionen oder Länder sich sehr oft in Einmütigkeiten gefallen, mit denen sie von anderen Regionen abgrenzen. Unsere Zeitschrift trägt dazu bei, diese Selbstverständlichkeiten aufzulockern und Blicke über den Tellerrand zu ermöglichen.

WEIGONI: Welche Anforderungen haben Sie in den 90-ern als Editor einer Literaturzeitschrift an gute Literatur?

KARTHEUSER: Wir haben über unseren Qualitätsstandard nie einen Kodex aufgestellt, der zu erfüllen wäre. Seit Jahren ist das Kriterium: Was uns unter den Einsendungen gefällt. Dabei haben wir in 16 Jahren Existenz der Zeitschrift verlässliche Schwellen erarbeitet; auch die Prozedur des Auswahlverfahrens hat sich in all den Jahren verfeinert.

WEIGONI: Man stiehlt sich gegenseitig die Zeit, inwieweit verträgt sich der Autor mit dem Herausgeber?

KARTHEUSER: Als Herausgeber suche ich den direkten und persönlichen Kontakt mit dem Autor. Diese persönliche Bekanntschaft und Beziehung macht eine der Stärken des Krautgarten aus. Unsere Kontakte sind meistens langjährig und werden über Jahre fortgesetzt. Wer eine Statistik führen möchte, könnte ermitteln, dass verschiedene Autoren erprobter Qualität seit vielen Jahren regelmässig in der Zeitschrift vorkommen. Da hat sich also eine Vertrauensbindung ergeben. Dennoch bringt jedes Heft neue Autoren und stellt überhaupt für manche eine Erstveröffentlichung dar. Das gehört mit zu den wesentlichen Funktionen von Literaturzeitschriften, neue Leute zu entdecken und in die Öffentlichkeit zu bringen.

WEIGONI: Bei der Lektüre deutschsprachiger Literaturzeitschriften entsteht der Eindruck, dass viele Zeitschriftenmacher vergessen haben, für wen, ausser sich selbst natürlich, sie ihre Zeitung eigentlich machen. Wie reagiert der Krautgarten auf Anregungen der Leser?

KARTHEUSER: Was die Literaturauswahl angeht, so haben wir unsere festen internen Kriterien und eine lange Praxis. Der Literaturteil (etwa 60 Seiten) wird um ein Journal ergänzt, in dem wir Ereignisse, Trends, politische Vorgänge oder das Kunstgeschehen begleiten und kommentieren. Dieser Teil ist, wie der Titel sagt, eher auf Feuilleton-Lektüre abgestimmt. Die Auswahl gibt wiederum Auskunft über das, was wir als Redaktion in der Öffentlichkeit gelesen oder diskutiert sehen möchten. Das Profil des Krautgarten liest sich also wesentlich an den Themen und Namen des Journals ab.

WEIGONI: Es ist ja eine alte Binsenweisheit, die Leser dort abzuholen, wo sie gerade sind und sei es im Internet! Oder wird die Literatur am dem Standstreifen der Datenautobahn ausgebremst?

KARTHEUSER: Noch produzieren wir unsere Zeitschrift als ein Druckerzeugnis auf Papier, mit einer gepflegten Aufmachung und dem Bemühen, dass das Heft dem Leser, der es in der Hand hält, optisch gefällt. Ob wir mit der Zeit zu anderen Publikationsformen gelangen, steht dahin. Auch das Internet wird die Literatur im strengeren Sinne nicht in die Reichweite grosser Massen bringen. Literatur lesen ist immer eine persönliche und bewusste Wahl. Unser Ehrgeiz ist, die Leser, die mit ihrer Wahl hohe Qualitätsanforderungen und damit auch eine hohe Genusserwartung verbinden, zufriedenzustellen. Die Echos, die wir erhalten, bestätigen uns, dass uns das gelingt. Sonst wäre angesichts der Armseligkeit unserer Ausstattung, unserer Mittel und unserer Umfeldbedingungen ein Durchhalten über eine solch lange Strecke, nicht möglich gewesen.

WEIGONI: Aufmerksam wurde ich auf Sie durch den Band "zeitkörner" im Grenz-Echo-Verlag (Eupen), inwieweit färbt das Venn ihre Gedichte?

KARTHEUSER: Der Band "zeitkörner" war eine gemeinsame Publikation von drei Autoren der Redaktionsgruppe, Robert Schaus, Leo Gillessen und mir selbst. Von diesen dreien "steht" keiner literarisch auf das Venn. Von den drei veröffentlichten Zyklen hatte allenfalls mein eigener einen stärkeren landschaftlichen Einschlag, aber auch hier war die Landschaft nicht Selbstzweck, nicht Gegenstand von Beschreibung, sondern ein eher x-beliebiger Ort oder Hintergrund, gegen den Gefühl, Reflektion, metaphysische Ergründung sich brachen. Die Landschaft, die ich in diesen Gedichten unter dem Titel "Sonnensplitter" bemühe, wechselt ja auch von der hier in Belgien erlebten hin nach Mittelmeerländern und insbesondere Griechenland. Diese Landschaft ist also austauschbar, und es geht um nichts weniger als um eine hymnische oder touristische Zurschaustellung. All dies ist noch stärker der Fall für die Gedichte von Leo Gillessen oder Robert Schaus in demselben Band. In den drei Fällen handelt es sich hauptsächlich um Erlebnisberichte über Beziehungen.

WEIGONI: Ist die Landschaftsdichtung im digitalen Zeitalter noch relevant?

KARTHEUSER: Man müsste zunächst definieren, was denn Landschaftsdichtung ist.

WEIGONI: Was ist Ihre Definition?

KARTHEUSER: Man möge vor Augen haben, dass das Wort auch die Menschenlandschaft bezeichnen kann und damit die erlebte Geschichte. So bin ich dazu gelangt, die Kargheit und Reizarmut der eifeler Landschaft gerne als Metapher für eine Mentalität oder ein gesellschaftliches Verhalten gegenüber bestimmten Kontexten zu verwenden. Frostige Sprödigkeit steht daher gerne als Synomym für eine Verhärtung der Leute, die nicht bereit sind, sich über sensible Kontexte auszusprechen, zum Beispiel über die nationalsozialistische Altlast der Gegend. Wenn Landschaft meint, dass man Dialog mit den Leuten und mit der Gegend führt, in der man lebt und streitet, dann sind viele meiner Texte auch Landschaftsdichtung, aber nicht als Lobpreis der Jahreszeiten oder als eine andere Form des idyllischen Schnappschusses.

WEIGONI: Sie erhielten 1993 den Literaturpreis der deutschsprachigen Gemeinde Belgiens, was bedeuten Ihnen Preise und Ehrungen?

KARTHEUSER: Der Literaturpreis der deutschsprachigen Gegend ist fast das einzige, was die hiesige Kulturpolitik einem Autor zu bieten hat. Er ist mit einem lächerlichen Betrag ausgestattet und kann kaum als Referenz dienen. Im übrigen ist es üblich, dass man sich alle 5 Jahre anstellt, was den Preis entwertet. Preise gefallen mir, wenn sie eine tatsächliche Anerkennung beinhalten. Wichtiger ist mir daher der Walter-Hasenclever-Förderpreis der Stadt Aachen oder der Prix Adam de la Poésie aus Brüssel.

Unser Problem in der deutschsprachigen Gegend liegt in der Abwesenheit jeglicher Infrastruktur, so dass Schreiben und Publizieren immer eine Sisyphus-Arbeit bleibt. Dem könnte leicht und einfach abgeholfen werden, aber die Offiziellen legen keinen Wert darauf. Ein Paradox ist es ja, dass ausgerechnet die Sprachkultur einen solch armseligen Rang in der Kulturpolitik Ostbelgiens hat, während man weiss, dass die Kulturautonomie Ostbelgiens - ein Staatsapparat für 70.000 Einwohner - ausschliesslich auf der Sprache beruht.