The Ages of Cargo-Cult Require Some Trotzdem Gurus

cargo-bahn-445Nicks Anmerkungen zur diesjährigen re:publica TEN

Leider konnte ich nicht zur Republica fahren, denn ich hatte Verpflichtungen bei zwei Cargo-Kulten.

Jedenfalls, wenn man Gunter Dueck Glauben schenken darf. Denn ich habe mir inzwischen Beiträge als Video angesehen, – nein, den Richard Sennett hebe ich mir noch auf -, also den von Gunter Dueck über Cargo-Kulte und den von Sascha Lobo mit dem Titel „The Age of Trotzdem“.

Die Beiträge waren ja beide ganz pfiffig und rhetorisch erquicklich, die Stimmung bei den Rednern und im Publikum hingegen „eher so mittel“ – bis ohnmächtig, wenn man ehrlich ist. Wenn so gar nix mehr hilft, dann gibt man sich das Kabarett.

(Anm.: Wer gar nicht weiß, was ein Cargo-Kult ist, kann sich bei der Wikipedia informieren, hier und hier, oder sich das Video des Beitrags von G. Dueck ansehen.)

Ähm, gut, ich war also nicht da. Ich war in zwei politischen Ausschüssen. Im Landtag von NRW. Für mich als Abgeordneter Pflichtveranstaltungen. Also, folgt man Dueck, dann muss das wohl „Cargo-Pflicht“ oder „Pflicht-Cargo“ genannt werden.

„In der Politik ist das so, wenn man keine Lust hat, irgendwas zu machen, macht man einen Ausschuss, das ist so was wie eine Landebahn planieren“, sagte Dueck so ungefähr in seinem Beitrag, „man gründet Ausschüsse, deren Ergebnis eh schon feststeht“, also Cargo-Kulte. (Video ab min 18:20)

Hmm. Dem sympathischen Gunter Dueck und seinem wunderbaren Vortragsstil zuliebe will ich mal annehmen – er hat ja „Ausschuss“ gesagt -, dass er eigentlich „Enquetekommission“ gemeint hat. In Parlamentsausschüssen ist das nämlich nicht ganz so. Da werden ab und zu Entscheidungen gefällt. Echt. Über Anträge, Gesetzentwürfe und das Ausgeben von Geld (sofern der Staat mal welches hat, was ja auch nicht unbedingt besser geworden ist.)

Für eine Enquetekommission kann ich das Cargo-Dingsbums aber bestätigen und sogar noch steigern, siehe Video.

„Wir sind im Grunde damit zufrieden, dass irgendwie Aktivität simuliert wird“, sagt Dueck bezüglich der Politik und meint mit „wir“ wohl die Zuschauer der repTEN im Publikum. (ab min 25:00)

Moment mal, hat nicht der Expirat-Piratenkritiker Christopher Lauer, der auf Podiumsdiskussionen i.d.R. mit der Berufsbezeichnung „Netzexperte“ geführt wird, den Piraten Cargo-Kult in Tateinheit mit Politiksimulation vorgeworfen? Also Parteitage machen, Abstimmungen und so, Mitglieder werben, Plakate aufhängen und Flyer verteilen, ganz so wie eine „richtige“ Partei, aber alles ohne wirkliches Ergebnis?

Wenn jetzt aber laut Dueck die Politik heutzutage selber eine Simulation, und zwar eine Aktivitätssimulation ist, handeln die Piraten dann nicht eigentlich völlig konsequent? Herrje, ich frag ja nur …

Oder muss man noch zusätzlich differenzieren zwischen Simulation und Simulation der Simulation, bzw. Metasimulation, also Blödheit und Metablödheit?

Vielleicht sind das ja neuere Formen der Selbstreferenz, die ebenfalls wie die Standardform über simples Feedback hinausgehen.

[tl;dr Eine Randnotiz über siechende Piraten:
Oft muss ja, damit ein positives Feedback, diese Rückkopplung auch funktioniert, ein Verstärker, hier eine medial vermittelte Verkündungslogik des Toterklärens nachgeschaltet werden, damit eine Partei wie die Piratenpartei, zu deren Siechtum man – mehr oder weniger präzise der politischen Gesäßgeographie des 19. Jahrhunderts folgend – als frisch nach Links Ausgetretener auch selbst aktiv beigetragen hat, nur ja tot bleibt. Also – nix machend – Cargo-Kult-mäßig den Cargo-Kult dieser Partei erklären. Gewissermaßen also die Quadratur (=hochzwei) des politischen Totseins … das eigene mit eingeschlossen. Weil, das eine macht cargomäßig ja nix und das andere auch nicht.]

Egal.

Wie es mir geht damit? Eher so mittel.

Weil, wir in der Politik machen ja nix  (und die Piraten also jetzt mal so medial wahrgenommen nix) und die anderen machen ja auch nix, kriegen aber Kohle dafür. Nur fürs Reden – übers nix machen jetzt wieder der Anderen, hier jetzt über Ausschüsse/Enquetes. Wie sagte Lobo? Irgendwas mit unverschämt … Es sei ihm TROTZDEM gegönnt. Nein wirklich. Echt keine Ironie.

Also, Dueck, Lobo, ihr Lieben. Ja und den Welzer und den Pörksen u.v.a. Mit-, Vor-, Nach- und Querdenker nehme ich auch noch mit. Wie wär’s denn mal damit, eine Partei zu gründen?

Politik ist doch Bürgersache. Oder? Und Publizisten und Wissenschaftler sind doch auch Bürger?

Oder seid ihr frustriert, weil ihr alle den Manuel Castells gelesen habt, der im Vorwort von seinem „Das Informationszeitalter“ – und das schon 1998 – von der zunehmenden Kurzlebigkeit politischer Bewegungen gesprochen hat? Kurzlebigkeit gleich Sinnlosigkeit?

„Die politischen Systeme stecken in einer strukturellen Legitimitätskrise, sie werden periodisch von Skandalen erschüttert, sind in ihrem Kern abhängig von Medienberichterstattung und personalisierten Führungsformen und zunehmend von den Bürgern isoliert. Soziale Bewegungen sind meist zersplittert, lokal fixiert, auf Einzelfragen orientiert und kurzlebig; sie haben sich entweder in ihre innere Welt vergraben oder brechen nur für einen Augenblick um ein medienwirksames Symbol herum hervor.“ (M. Castells, Das Informationszeitalter Band 1, Opladen 2001, S.3)

Ihr wisst doch Bescheid, ihr erkennt doch was. Es gab mal einen Philosophen, der schrieb einen Beitrag zu einer kybernetischen Theorie der Subjektivität. Und damit über die unauflösliche Verknüpfung von Erkennen und Wollen. Erkennen gleich Beurteilen und Wollen gleich Entscheiden, Handeln, und das auch politisch. Warum wird immer so getan, als sei Erkennen vom Wollen unabhängig, als könne man einen eher erkennenden Job, z.B. Wissenschaftler oder Publizist, von einem eher wollend-entscheidenden Job, Manager oder Politiker, noch trennen? Im technischen Zeitalter?

Es brennt ja überall, politisch jetzt. Können wir uns das überhaupt noch leisten mitten in der informationstechnologischen Revolution? Die Woller, die Entscheider wissen nix und die Wissenden entscheiden nix …. aber sie reden wenigstens übers Nichtentscheiden.

Cargo-Kulte sind ein Krisenphänomen. In Melanesien der Unterversorgung mit Lebensmitteln und Glück. In der Politik der Unterversorgung mit KnowHow. Cargo-Kulte waren ein Krisenphänomen. Übrigens seit der Jungsteinzeit.

Und sie sind flankiert von Gurus, von hellen, von dunklen, von bebrillten, besmartphoneten und solchen in Grautönen.

Heute abend höre ich mir nochmal eine Liveversion von „Cosmik Debris“ von Frank Zappa an.
Wer’s lieber Deutsch mag, kann sich auch „Heeyoh Guru“ von Lindenberg auflegen.

Und einen Wein dazu.

Herzlich, Nick

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