Wahlkampfnachlese II – Die Linke Konsequenz

Die Linke hat es nicht geschafft, bei der letzten Landtagswahl in NRW erneut in den Landtag einzuziehen.
Hernach scheint es auf den ersten Blick überflüssig und verschwendete Zeit, darauf noch schriftlich einzugehen – auch vor dem Hintergrund der um sich greifenden Selbstauflösungserscheinungen der Partei in NRW auf kommunaler Ebene.

Anlass für diesen Blogbeitrag ist ein Artikel von Martin Kreickenbaum auf der World Socialist WebSite WSWS, den ich nicht unwidersprochen lassen möchte.
Kreickenbaum kritisiert in seinem Aufsatz aus seinem Blickwinkel Inkonsistenzen und Vagheiten im Wahlprogramm und Herrn Michele Marsching, damals Vorstandsvorsitzender des Landesverbandes NRW der Piratenpartei, und mich explizit als Listenkandidaten.

Die Kritik Kreickenbaums am Wahlprogramm der Piraten ist sehr konsequent – vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ‚Die Linke‘ ja eine mehr oder weniger statische Ideologie besitzt, aus der sich politische Positionen per Ableitung quasi ‚ganz natürlich und von selbst‘ ergeben. Das grundsätzliche Vorgehen der Piraten, Programmteile und Positionspapiere aus der Basis und den Arbeitskreisen heraus – mit sehr viel konstruktivem Streit – zu entwickeln über die gemeinsame Einsicht, dass nur das zu einem guten Programm gehört, was auch möglichst viele wenn nicht gar alle Parteimitglieder aus sich selbst heraus wollen oder wenigstens mit tragen können, kann nicht über die ideologische Brille eines Denk-Systems verstanden werden, das seine Einsichten aus übergeordneten Prinzipien gewinnt, bzw. dessen Gerüst durch einen hierarchisch strukturierten Rationalitätsbegriff gebildet wird.

Die inhaltliche Präzisierung und Schärfung von Programm und Parteiprofil ist ein stetiger Prozess, der sich aus den – jeweils partiellen – Lebenswirklichkeiten und Einsichten der Parteimitglieder und der Gesellschaft speist und nicht über die Ableitung aus einer Theorie. Eine Theorie des Vorgehens z.B. der Open Source-Bewegung gab es vorher auch nicht. Das Vorgehen dieser transnationalen technischen Bewegung entstand aus den unterschiedlichen Aktivitäten vieler Einzelner.

Die Idee „Netzwerk“, so wie sie schon von Vilém Flusser und anderen in den 80ern kolportiert wurde und die letztlich mehr ist als ’nur‘ ein Kommunikationsnetz, erschließt sich vielen – nicht allen! – Mitgliedern der Partei ‚Die Linke‘ nicht einmal im Ansatz. Allein deshalb muss der Partei jedwede Zukunftsfähigkeit abgesprochen werden.

Des Weiteren kritisiert Kreickenbaum mich persönlich als „Anhänger der systemtheoretischen Ideen von Heinz von Foerster, Francisco Varela, Humberto Maturana und Niklas Luhmann“. Diese „Spielart des radialen Konstruktivismus“, so der Autor, gehe „von selbstreferentiell operierenden autopoietischen Systemen aus. Gesellschaftliche Teilsysteme wie die Wirtschaft, das Recht und die Politik sind danach zwar lose miteinander verbunden, funktionieren aber nach ihrer je eigenen Logik und können sich untereinander kaum beeinflussen. In der Politik gehe es daher in erster Linie um Macht und nicht um Steuerung von gesellschaftlichen Prozessen“.

Juhu. Weiter heißt es, dass diese Theorieströmung „nicht nur erzkonservativ“ sei, sondern auch noch „zynisch“, da sie „den Erhalt des Status quo gewissermaßen als logische Notwendigkeit“ betrachte.

Nicht nur, dass diese Anwürfe bar jedweder Kenntnis des Radikalen Konstruktivismus RK sind, ich bin definitiv kein Anhänger des RK, auch wenn ich aus diversen Gründen viele Sympathien für Varela, Maturana und Heinz von Foerster hege. Was meine Sichtweise auf Luhmann betrifft, so ist Kreickenbaum einem Fundamentalirrtum aufgesessen. Das wäre durch eine gleichwohl fundiertere Recherche vermeidbar gewesen. Dann hätte der Kritiker nämlich entdecken müssen, dass sich auf der von mir herausgegebenen WebSite www.vordenker.de Arbeiten des Luhmann-Kritikers Walter L. Bühl finden, „Das Ende der zweiwertigen Soziologie„, „Die Grenzen der Autopoiesis“ und „Luhmanns Flucht in die Paradoxie„, die ich nahezu vollumfänglich unterschreiben kann.
Annmerkungen zu meinem Verhältnis etwa zum logisch-philosophischen Werk eines Gotthard Günther trifft der Kritiker hingegen nicht. Traut er sich nicht?
Weitere Kommentare – so zu Kreickenbaums jeder rationalen Grundlage entbehrenden und daher völlig aus der Luft gegriffenen Sicht auf mein Verhältnis zur Agenda 2010 – schenke ich mir. Polemik – notwendig in der politischen Auseinandersetzung – und gleichwohl unerfreuliche Klitterung seien dem Herrn beide zugestanden. Es war ja Wahlkampf.

Abschließend bemerkenswert scheint mir jedoch, dass in der Kritik Kreickenbaums implizit ein leider bei vielen Linken weithin etablierter Denkfehler auftaucht – man nimmt Kapitalismus und Marktwirtschaft gern für synonym – und stellt sich somit selbst als Opfer neoliberaler Gehirnwäsche dar.
Der Turbo-Kapitalismus, wie wir ihn heute erleben, kann jedoch in erster Linie als ein Protektionismus begriffen werden, ein Protektionismus, der im Interesse diverser Kapitalkonzentrationen die Marktteilnahme möglichst vieler potentieller Konkurrenten verhindert. Selbstverständlich ist das eine verkürzte Betrachtung. Eine detailliertere Ausführung verdient einen eigenen Aufsatz und muss daher nicht Bestandteil dieser Replik sein.

Stattdessen gönne ich mir meinerseits noch ein bisschen Polemik: Onkel Karl war sicher ein großer Denker. Er hätte – würde er noch leben – seine Theorien ggf. teilweise revidiert und/oder weiterentwickelt, anstatt sich darauf zu beschränken, politische Handlungen aus seinem geschichtlichen Konzept lediglich abzuleiten. Marx wäre heute Pirat.

Ich bleibe dabei, die Partei ‚Die Linke‘ handelt schlüssig.
Wer seine politischen Ideen- und Theoriegebäude weitestgehend fertig hat, braucht sich nur noch ums Personal zu streiten.
Das tut die Partei ‚Die Linke‘ in bitterer Konsequenz.
Sie nimmt dabei sogar tiefe psychische Traumata bei ihren Mitgliedern in Kauf. Ideologisch notwendiger Verschnitt eben.

In diesem Sinne,

Nick H. aka Joachim Paul

4 Gedanken zu „Wahlkampfnachlese II – Die Linke Konsequenz

  • 18. September 2012 um 13:41 Uhr
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    Schade, dass die Linke nicht ein wenig mehr präsent ist. In den letzten Jahren konnten sie sich zu einer normalen Partei bilden. Es gibt immer Höhen und Tiefen und wenn man sich den Fortschritt der Linken anschaut, wird man feststellen, dass es immer besser wird.

    Für den Artikel bedanke ich mich. Er ist sehr gut geschrieben und gefällt mir auch. Größtenteils sind unsere Meinungen identisch.

  • 11. August 2012 um 09:13 Uhr
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    “Kapital und Kapitalismus

    Unter Kapital versteht der Freiwirtschaftler Geld und zinstragendes Gut. Kapitalist ist also jeder, soweit er Zins bezieht, und Kapitalismus oder Zinswirtschaft ist die Wirtschaftsordnung, in der Geld und andere Güter so gebraucht werden können, dass sie Zins abwerfen (Geldzins, Sachzins, Bodenzins).

    An dem Fortbestehen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung hat ein Interesse, wer mehr Zins einnimmt, als ihm von seinem Arbeitsertrag durch Zins genommen wird, durch den Zins, den er nicht etwa nur für geliehenes Geld oder gepachteten Boden, sondern in den Preisen alles dessen, was er kauft, bezahlen muss. Da in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung die Warenpreise im Durchschnitt etwa je zur Hälfte aus Arbeitslohn und Zins bestehen, ist derjenige am Fortbestehen des heutigen Zustandes interessiert, dessen Einkommen überwiegend aus Zins besteht. Zu den Großzinsbeziehern und sonstigen Nutznießern des Kapitalismus gehören aber sicher weniger als 10 Prozent der Bevölkerung.

    Die übrigen 90 Prozent der Bevölkerung sollten den Kampf gegen den Zins mit den rechten Mitteln aufnehmen, denn das Wesen des Kapitalismus besteht ja nicht allein darin, den Werktätigen dauernd rund die Hälfte ihres Einkommens durch den Zinsanspruch zu kürzen, sondern sie mit jedem Mittel – auch mit dem der Wirtschaftskrise und des Krieges – in dauernder Armut zu erhalten!

    Diese Armut (Sachkapitalmangel) ist geradezu das Lebenselement des Kapitalismus, seine Voraussetzung, denn nur für etwas, was knapp ist, bezahlt man Zins. Kapitalismus ist somit notwendig dauernde Mangelwirtschaft, Kapitalismus schließt zwangsläufig allgemeinen Wohlstand aus, so wie das Feuer das Wasser.”

    Otto Valentin (aus “Warum alle bisherige Politik versagen musste”, 1949)

    Das versteht jedes Schulkind. Es sei denn, dem Kind wurde im Religionsunterricht erzählt, das Paradies sei ein “Obstgarten” und die “Frucht vom Baum der Erkenntnis” ein Apfel.

    http://www.swupload.com//data/Behandlung-eines-Privatpatienten.pdf

  • 10. August 2012 um 13:58 Uhr
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    Ich stimme zum größten Teil inhaltlich überein.

    Allerdings denke ich, dass auch Piraten ihr Positionen aus vorhandenen Grundwerten, aus einem Weltbild ableiten. Dieses ist zwar nicht so statisch und dogmatisch, wie das der Partei Die Linke, aber es ist da. Die Positionspapiere der Arbeitskreise entstehen ja nicht im luftleeren Raum.

    Für mich waren dies immer die Grundwerte der Freiheit und des Humanismus. Aus diesen Werten lässt sich beinahe jede Position ableiten, wie z. B. der Punkt, dass die Piraten Abschiebungen und Abschiebehaft ablehnen. (Nebenbei: die wsws-Kritik zu dem Hinweis auf die geringe Gestaltungsmöglichkeit des Landes in diesem Punkt im Wahlprogramm ist reine Polemik. Es steht außer Frage, dass die Piraten im Bund die Asylgesetzgebung in einem humanistischem Sinn ändern wollen.).

    Ein anderer Punkt ist, dass dieser Blogpost sich zwar mit der Kritik von Martin Kreickenbaum beschäftigt, aber irgendwie auch noch auf die Partei „Die Linke“ zielt. Kreickenbaum oder wsws haben so gut wie nichts mit der Partei „Die Linke“ zu tun. Im Gegenteil, auf http://www.wsws.org/de/2012/mai2012/link-m12.shtml bekommt auch die Partei Die Linke bzw,. die ehemalige Linksfraktion NRW von Kreickenbaum ihr Fett weg. Ich würde nicht den Fehler machen, alles was sich irgendwie unter links oder sozialistisch einordnen lässt in einen Topf zu werfen. Es gibt auch unter Piraten Menschen, die sich als „links“ oder „linksliberal“ definieren – wenn auch längst nicht alle – und humanistischen und liberalen Spielarten des Sozialismus kann ich als Pirat durchaus einiges abgewinnen.

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