TOP 11, 20.04.2016 – LT NRW – BVerfG-Urteil zur Akkreditierung von Studiengängen

Meine Rede zu TOP 11 am Mittwoch, den 20. April 2016 zu unserem Antrag „Urteil des Bundesverfassungsgerichts sofort umsetzen. Akkreditierung rechtssicher gestalten und staatliche Verantwortung für die Hochschulen endlich wahrnehmen“, Antrag der Fraktion der PIRATEN – Drucksache 16/11690

Präsidentin Carina Gödecke: Ich rufe auf: Urteil des Bundesverfassungsgerichts sofort umsetzen. Akkreditierung rechtssicher gestalten und staatliche Verantwortung für die Hochschulen endlich wahrnehmen – Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/11690

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die Piraten Herr Dr. Paul das Wort. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, es dauert noch einen kleinen Moment, weil das Rednerpult ziemlich feucht geworden ist und damit natürlich auch die Manuskriptblätter der nachfolgenden Rednerinnen und Redner Schaden nehmen würden, und das sollen sie nicht. Ich glaube, jetzt geht es.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Ich probiere es. – Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe wissenschaftsaffinen Mitmenschen! Das war schon eine richtige Klatsche für das schwarz-gelbe sogenannte Hochschulfreiheitsgesetz und das ihm folgende rot-grüne sogenannte Hochschulzukunftsgesetz, was da in Karlsruhe am 17. Februar diesen Jahres vom Bundesverfassungsgericht entschieden worden ist.

Worum geht es? – Die Regelungen über die Akkreditierung von Studiengängen des Landes Nordrhein-Westfalen, wonach Studiengänge durch Agenturen nach den geltenden Regelungen akkreditiert werden müssen, sind mit dem Grundgesetz Art. 5 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 unvereinbar, heißt es im Urteil.

Das Urteil selbst bezieht sich dabei auf Absätze in § 72 des Hochschulfreiheitsgesetzes von 2006 und den § 73 des Hochschulzukunftsgesetzes von 2014.

Allein die blumigen Namen der beiden Gesetze sprechen eine deutliche Sprache und zeigen im Grunde, was für eine Denke dahintersteht. Tautologie und Pleonasmus – das schenke ich Ihnen. Auf jeden Fall handelt es sich in beiden Fällen um Wortreichtum ohne Informationsgewinn; denn – erstens – Hochschule hat immer mit Freiheit zu tun, und – zweitens – Hochschule hat immer mit Zukunft zu tun; es sei denn – und da verrät sich die neoliberale Holzfällerlogik von Schwarz-Gelb –, es geht gar nicht und ging nie um die Wissenschaftsfreiheit als Individualrecht, wie es ausdrücklich in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes ausgeführt ist, sondern um eine Befreiung der Institution Hochschule; die unternehmerische Hochschule, die entfesselte Hochschule oder wie derlei komplett hirnrissige Slogans sonst noch heißen.

Die Wissenschaftspolitik im beginnenden Informationszeitalter unterwarf damit unsere Hochschulen einer aus der Religion des sogenannten freien Marktes abgeleiteten Wettbewerbslogik und pflegt dabei auch noch die Bewahrung eines angestrengten Optimismus. Dabei werden große Verkrampfungen erzeugt, die jenseits aller kreativen Haltungen liegen. Jenseits aller kreativen Haltungen – das ist eine Bemerkung aus dem Buch des Bonner Neurologen Detlef B. Linke „Die Freiheit und das Gehirn“, Seite 46, fünfter Absatz.

Und was machte Rot-Grün? – Man folgte beim Entwurf des Hochschulzukunftsgesetzes noch nicht einmal irgendeiner Logik, sondern pflegte eine Zögerstrategie des „Ja – Nein – Doch – Vielleicht – Schauen wir einmal“.

Das ist ein wissenschaftspolitisches Armutszeugnis. Hochschulmutlosigkeitsgesetz wäre daher der richtige Name gewesen. Zukunft sieht jedenfalls anders aus. Für uns Piraten gelten das Grundgesetz und die Wissenschaftsfreiheit als Individualrechte, und das ist nicht verhandelbar.

(Beifall von den PIRATEN)

Da sich die anderen Fraktionen im hiesigen Landtag argumentativ gern bei den Privat-vor-Staat-Aposteln bedienen, muss schon die Frage erlaubt sein, ob wirklich verstanden worden ist, was Freiheit der Wissenschaft eigentlich bedeutet.

Im Leitsatz zum Beschluss des Ersten Senats vom 17. Februar heißt es:

„Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG steht zwar Vorgaben zur Qualitätssicherung von Studienangeboten grundsätzlich nicht entgegen. Wesent-liche Entscheidungen zur Akkreditierung darf der Gesetzgeber jedoch nicht weitgehend anderen Akteuren überlassen, sondern muss sie unter Beachtung der Eigenrationalität der Wissenschaft selbst treffen.“

Ich betone: Eigenrationalität der Wissenschaft.

Ähnlich wie bei den Akkreditierungsagenturen stellen auch die Mitwirkungs- und Aufsichtsrechte der Hochschulräte einen prinzipiellen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit dar. Wer garantiert denn, dass ein Hochschulrat nicht Entscheidungen fällt, die einer Fremdrationalität folgen, zum Beispiel der Scheinrationalität der Markttheologie?

Auch hier ist die hinreichende Teilhabe der Wissenschaft selbst nicht durch den Gesetzgeber garantiert und der Schutz vor wissenschaftsinadäquaten Entscheidungen nicht gewährleistet, und auch hier ist der Staat gefordert, nämlich als Garant des Grundrechts auf Wissenschafts-freiheit.

Wir haben im Gesetzesverfahren zum sogenannten Hochschulzukunftsgesetz deutliche Kritik am Geist der Hochschulgesetzgebung formuliert. Echte Wissenschaftsfreiheit sieht anders aus. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil im Februar genau diese Frage, nämlich zur Akkreditierung von Studiengängen, geklärt. Sie sind in ihrer jetzigen Form verfassungswidrig.

Sie sind nun aufgefordert, bis Ende 2017 eine neue gesetzliche Regelung zu treffen. Diese fordern wir schnellstmöglich ein; denn es kann doch nicht sein, dass wir hier im rechtsfreien Raum lustig weiter akkreditieren. Eine Entscheidung, nach dem Motto: „Wir schieben das, weil bald ist ja Wahlkampf“ kann ich nachvollziehen. Aber seien Sie sich bitte sicher, dass das die um sich greifende Politikverdrossenheit weiter fördern wird und Kräften in die Hände spielt, die wir nicht wollen.

Wenn Nordrhein-Westfalen jetzt endlich mutig ist und dieser Doktrin „Privat vor Staat“ an den Hochschulen entgegentritt, wäre das ein starkes Signal in die NRW-Hochschulen und auch in die gesamte Wissenschaftslandschaft in Deutschland.

Wir freuen uns, dass wir diese Ausrichtung nun im Ausschuss vertiefen dürfen, aber eigentlich ist es traurig, dass erst Gerichte die Wissenschaftsfreiheit einfordern müssen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Paul. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Bell.

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