„Affären“ als Phänomen der medialen Ablenkung von Wichtigem

Guten Tag,

Seit der Staat sich nicht mehr in die Genitalorganisation sowie die hormonelle Selbstregulation seiner Bürger einmischt, haben wir nicht nur einen Fortschritt in Sachen Humanisierung von Sexualität und sexueller Kommunikation zu verzeichnen.

Seit vor allem der Markt auch hier reguliert und im wahrsten Sinne des Wortes auch seinen Strich zieht, wird zugleich die Kluft zwischen humanisierter Sexualität und organisierter Lieblosigkeit deutlich.

Sexualverhalten aber ist Sozialverhalten. Nicht nur im nonverbalen, auch im verbalen Bereich.

Jeder von uns schleppt bewusst, unbewusst oder vorbewusst Prägungen, Lernerfahrungen im Bereich des sexuellen Verhaltens mit sich.
Nur wenige haben Sexualität als ein Feld offenen Erfahrungslernens kennengelernt.
Normalität im Bereich des Sexuellen ist bekanntlich und massenmedial unterfüttert nur im Konsens des Vorurteils erfahrbar.

Nicht nur die Gedanken sind frei. Auch die Entscheidungen potentieller Empfänger von Botschaften.
Niemand ist gezwungen, sich die nachmitternächtlichen Weich- und Hartfleischprogrammanteile bei RTL und anderen Sendern anzusehen, Telefonsexwerbung zu beachten oder Twitter-Tweets zu abonnieren, wo man sich vielleicht an schlüpfrig zu interpretierenden Zeilen erregen oder aufregen kann.

Auch die Entscheidung zur Teilnahme an medialen und netzmedialen Erregungswellen, das Herumspielen am Skandalon sowie das Gieren nach medialen Urknallphänomenen ist letztlich eine individuelle Angelegenheit.

Ich halte es für sinnvoll, mit Frau Rydlewski über ihre inhaltliche Arbeit zu diskutieren.
Ob sie nun Bratkartoffeln mit oder ohne Speck isst, oder Sachen in den Mund nimmt, die andere nicht einmal in die Hand nehmen, geht uns und andere nichts an, es sei denn, wir wollen mit ihr Bratkartoffeln essen, uns über Kochrezepte, das gemeinsame Kochen oder aus Gründen persönlicher Interessiertheit übers Vögeln austauschen oder zum Sex verabreden.

Sex ist nun mal – glücklicherweise – auch in nichtmonogamen, anderen Organisationsformen kein Straftatbestand mehr.

Damit keine Missverständnisse aufkommen und in eigener Sache:
Donnerstag und Freitag letzter Woche war ich unglaublich wütend und verärgert.

Ich finde Frau Rydlewskis Verhalten – aus dem Landtag heraus – natürlich reichlich naiv, unangemessen und unangebracht, sie müsste inzwischen genügend reflektiert sein und auch wissen, dass es Medien und politische Gegner gibt, die nur auf so etwas warten.
Ein Faktencheck der Ausrichtung und Effizienz des eigenen politischen Handelns ist daher durchaus notwendig.

Darüber hinaus nehme ich am gesellschaftlichen Diskurs zum Verhältnis Privatheit/Öffentlichkeit teil und habe klare und dezidierte Standpunkte zur Idee der sogenannten Postprivatheit (Postprivacy), die ich in zwei Blogbeiträgen „Informationelle Selbstgestaltung vs. Inkontinenz“ und „Filtersouveränität schon am Ende“ in April und Mai 2011 veröffentlicht habe sowie in einem Beitrag für die Zeitschrift merz (medien + erziehung Nr. 3, Juni 2012, S. 28-30) mit dem Titel Privatsphäre/ Datenschutz/ Kontrollverlust.

Ich glaube an die Kraft dialektisch-rationaler Reflexion. Auch bei den Piraten.

Und jetzt wird wieder Politik gemacht, mit Piraten und unseren politischen Konkurrenten.
Wichtige Probleme gibt’s nämlich genug.

Schönen Restsonntag,

Joachim Paul aka Nick H.
Fraktionsvorsitzender der Piratenfraktion NRW

14 Gedanken zu „„Affären“ als Phänomen der medialen Ablenkung von Wichtigem

  • Pingback: WMR53 – generische Steuersparinstrumentin (mit Gregor Sedlag) | Wir. Müssen Reden

  • 14. November 2012 um 19:26 Uhr
    Permalink

    Was mich am Tonus dieses Artikels stört, ist dass mir die ganze Sexualität von Mrs. Rya völlig an meinem verlängerten Rücken vorbei geht, dass ihr Verhalten aber darauf schließen läßt, dass sie einen Kindergarten nicht von einem Landtag unterscheiden kann. Da bin ich mir, wenn ich „Heute bin ich wütend auf A und morgen auf B“ lese, bei vielen nicht so ganz sicher.

    Ganz sicher ist: Es ist eigentlich nichts Schlimmes passiert, aber man sollte daraus was lernen.

  • Pingback: Was er hätte schreiben können « Lars Reineke

  • 14. November 2012 um 02:15 Uhr
    Permalink

    Bravo Joachim!

    Ich selbst bin um eine Erklärung der Presseberichte angesprochen worden. Wobei die Tweets über Müdigkeit und Langeweile im Vordergrund standen.
    Nein, wir brauchen nicht über deren Enstehung und was die Presse daraus macht reden. Das ist aber genau das, was beim Bürger und Wähler ankommt.
    Beim heutigen Stammtisch hat mir ein Pirat ähnliche Erlebnisse am Piratenstand erzählt. Er was ziemlich angesäuert, denn die Argumente für das Verhalten fehlten ihm einfach.
    Ich will die Birgit hier nicht verurteilen, sie soll sich auch nicht verbiegen, aber erst mal Nachdenken und dann twittern wäre schon wünschenswert.
    Ein Warnschuss von der Basis.

  • 13. November 2012 um 22:07 Uhr
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    > Und jetzt wird wieder Politik gemacht, mit Piraten und unseren politischen Konkurrenten.
    > Wichtige Probleme gibt’s nämlich genug.

    Würdest Du auch nur eine Sekunde selbst hinter diesem Satz stehen, hättest Du diesen Artikel nicht verfasst.

  • Pingback: Post, Privacy und Politiker | Die datenschutzkritische Spackeria

  • 13. November 2012 um 20:23 Uhr
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    Alle 3 Dortmunder Abgeordneten behalten Details zu ihrer Arbeit für sich. Das ist nicht nur die Rydlewski. Allen 3 kann man sicher auch unterstellen, sich wegen des Geldes zur Wahl gestellt zu haben. DTP Operator, Hartzer, Lehrerin mit Gesundheitsproblemen… Würde ich mich ärgern, wenn ich für die U-Unterschriften gesammelt hätte.

  • 13. November 2012 um 20:16 Uhr
    Permalink

    Ich gebe Dir uneingeschränkt Recht, die Medien und der politische Gegner warten auf Angriffsflächen die bei uns aus Naivität oder unprofessionellem Verhalten entstehen. Ich befürchte aber, wir alle sind und waren naiv wenn wir wirklich geglaubt haben. dass man uns nur weil wir gewählt wurden einfach so mitspielen läßt.
    Ich habe Eure Reden gehört, habe den ernsthaften Marathon mitverfolgt den Ihr erfolgreich bestanden habt und war mächtig stolz.
    Ich habe auch die Zeitungskommentare „erleiden“ dürfen und für mich war zu Beginn schon klar, wir sollen sicher nicht ernsthafte Forderungen an politische Entscheidungen stellen.
    Denn mal ehrlich, welcher Politiker möchte sich vorwerfen lassen, dass er außer showmäßigen Beschuldigungen der gegnerischen Parteien nichts zu bieten hat.
    Ich habe gehört, dass z.B. Olaf mehrfach angemahnt hat, dass es z.B. bei der U3- Betreuung niemals um die Kinder selber ging. Sonst hätten die Parteien zum Wohl der Kinder gemeinsam gearbeitet anstatt zu feilschen um den politischen Gegner zu treffen.
    Ihr habt ganz schön angegriffen und ich glaube der Gegenangriff der Medien war nicht wirklich überraschend.
    Ihr habt differenzierte Inhalte abgeliefert und es ist nicht etwa Birgit Schuld, dass wir penetrant als inhaltslos dargestellt werden.
    Ich glaube an die Kraft des Zusammenhaltes und wünsche mir wieder Angstfreiheit in meiner Partei.
    Vielleicht müssen wir nur die Naivität hinter uns lassen, zu glauben wir hätten es schon geschafft in der Politik als Politiker ernst genommen zu werden. Dafür müsst Ihr noch viele Plenarsitzungen rocken und ich bleibe dabei, ich bin stolz auf Euch!

  • Pingback: Transparenz und Sex | ROTSTEHTUNSGUT

  • 13. November 2012 um 14:55 Uhr
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    Tja, nur erfahren wir in der Regel gerade von ihr alles mögliche, nur nicht was sie so arbeitet.

    Nicht falsch verstehen, aber dass kommt tatsächlich so bei mir an. Fußkrank, Kopfschmerzen, Badewanne, Kondome, Keine Lust.

  • 12. November 2012 um 00:17 Uhr
    Permalink

    Danke! 30.000 Piraten und ich bin der erste der reagiert. Absurd.
    Also aus meiner persönlichen Sicht. Wir haben heute morgen gearbeitet für die Piraten und tun es weiter. Kein Problem, dass nicht durch sachorientierte Arbeit in den Griff zu kriegen wäre. Machst Dich gut als Vorsitzender. Weiter so. Gruß vom KV Dortmund und der AG Friedenspolitik.

    calushy

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