Assoziationen und Fragen zu Wikileaks – Randbedingungen schreiben Geschichte

Es geht nicht darum, ob die Aktionen der Plattform Wikileaks legal sind oder nicht.
Das Attribut „legal“ ist immer an eine nationalstaatliche Gesetzgebung und diese wiederum ist an ein Territorium gebunden. Der Raum des Internet ist allerdings nicht exterritorial, sondern multiterritorial. Eine erfolgreiche internationale strafrechtliche Verfolgung von Vergehen kann daher nur auf der Basis solcher Gesetze erfolgen, die überall oder in den meisten Territorien die betreffenden Vergehen unter Strafe stellen, zum Beispiel Vergewaltigung.

Im Gefolge von Gutenbergs Buchdrucktechnik kam die Reformation. Die gedruckte Bibel konnte nun auch zuhause und selbst gelesen werden, die Leute brauchten zur oralen Verkündung nicht mehr in die Kirche zu gehen. Die Macht der katholischen Kirche als nahezu alleinigem Meinungsführer in Europa war nachhaltig gebrochen. Religion und Reich bekamen durch die Drucktechnik neue Randbedingungen. Der Rest ist Geschichte.

28 Jahre nach Entstehung des Internet – ArpaNet adaptiert TCP/IP 1982 – und gut 20 Jahre nach seiner Kommerzialisierung als Medium für den uneingeschränkten Austausch von Daten aller Art schickt sich das Netz an, die Randbedingungen für das Geschehen in Politik und Diplomatie nachhaltig zu verändern. Ein einmal ins Netz gestellter Inhalt von größerem Interesse kann nicht mehr einfach gelöscht werden, wie das explosionsartige Entstehen von wikileaks-mirrorsites zeigt.

Die DDoS-Angriffe gegen den whistleblower und auch die DDoS-Angriffe auf Sites von Unternehmen, die Dienstleistungen für Wikileaks einseitig kündigten, zeigen nur die Einfalls- und Machtlosigkeit ihrer Urheber.

Man kann mit Fug und Recht sagen, zur Zeit wird Geschichte geschrieben.

Dies wirft Fragen auf.

1. Welchen Effekt werden diese veränderten Randbedingungen auf Politik und Diplomatie haben?
Gegen Veröffentlichungen gibt es zu nächst zwei Handlungs- optionen, von denen die erste, Unterbinden, sich gerade als Unmöglichkeit herausstellt.
Für eine zweite Möglichkeit, organisierte Desinformation u.a. durch Overload, kann erwartet werden, dass dies zumindest versucht werden wird, dann, wenn auch der Letzte kapiert hat, dass DDoS-Angriffe den Angreifer selbst nur lächerlich machen.
Ein Erfolg von Desinformation und Overload gäbe Verschwörungstheorien noch mehr Raum, als sie jetzt im Netz schon haben. Wobei zu bemerken ist, dass die perfideste Verschwörungstheorie die ist, die behauptet, es gäbe keine Verschwörungen.
Der französische Kulturwissenschaftler Jacques Attali sprach bereits 1996 vom „Ende der Wahrheit“.

2. Eine zweite Frage ist die nach dem Wesen von Öffentlichkeit und Privatheit und der Grenze der beiden Begriffe, die sich gegenseitig bedingen.

Es bleibt spannend. Tom Mendelsohn spricht im  Independent vom ersten extra-nationalen Krieg, in dem es nicht mehr um Streitigkeiten zwischen Nationen geht. Es geht um das Ordnungsprinzip Nationalität schlechthin.

Und Nationalität, soviel steht unverbrüchlich fest, ist ein Element der Gutenberg-Galaxis.

Nick H.

Ein Gedanke zu „Assoziationen und Fragen zu Wikileaks – Randbedingungen schreiben Geschichte

  • 9. Dezember 2010 um 16:54 Uhr
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    Die Philosophie hat längst die Unmöglichkeit echter, letzter Wahrheiten bemerkt, die letzten Fronten sind verhärtet, es gibt da keinen Fortschritt mehr. Wie es scheint, hat die Gesellschaft lediglich endlich aufgeholt und mit klingt Feyerabends Satz in den Ohren: „Anything goes“

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