Zu Personalien – ich liebe Marx.

Eigentlich, ja eigentlich hatten wir von der Piratenfraktion vor, erst nach unserer Sonderfraktionssitzung am Freitag, den 27.09. öffentlich zum Fraktionsaustritt von Robert Stein Stellung zu nehmen.

Aber nun hat Robert Stein mit Vorwürfen gegen die Fraktion und gegen meine Person im Besonderen im Kölner Stadtanzeiger vom 25.09. nachgelegt.

Er könne „nicht mehr widersprechen, wenn FDP-Fraktionschef Christian Lindner von einer Linkspartei mit Internetanschluss spricht“, die Verantwortung dafür sehe er bei mir und bei anderen, die diesen Kurs stützen oder sich raushalten, so Robert Stein. Darüber hinaus sagt er, dass sich nur wenige Abgeordnete in der Fraktion an den inhaltlichen Debatten beteiligen.

Das darf nicht unwidersprochen bleiben, obwohl etwas daran wahr ist.

Robert Stein selbst hat mit uns nicht inhaltlich diskutiert. Beispielsweise in einer seiner Reden im Plenum des Landtags bezeichnete er einmal die Finanzpolitik des Finanzministers als „linke Finanzpolitik“ und das SPD-Bundestagswahlprogramm als links.

Ich habe ihn daraufhin, da er bei der seiner Rede folgenden Fraktionssitzung nicht anwesend war, auf einer öffentlichen Fraktionsmailingliste, wiederholt! gefragt, was er denn allgemein unter „links“ und unter „linker Finanzpolitik im Besonderen“ verstehe. Auf seine Antwort warte ich bis heute. Das spricht für sich.

In der vorletzten Fraktionssitzung vor der Bundestagswahl sprach ich ihn an, um einen Termin für ein Vier-Augen-Gespräch zu finden. Aufgrund voller Kalender einigten wir uns auf einen Zeitpunkt nach der Wahl. Sein Austritt kam dem zuvor. Ich erfuhr davon von einem Journalisten per Handy  auf der Fahrt zur Wahlparty nach Düsseldorf.

Robert Stein äußerte zudem den Vorwurf „marxistischer Positionen“ in der Fraktion, die seinem bürgerlich-liberalen Ansatz widersprechen.

Martin Delius bezeichnete die Piratenpartei gegenüber Frau Schausten im TV einmal als „zum linken Spektrum gehörig“. Das kann man machen, und es steht jedem Piraten frei, das zu tun, etwa um unsere sozialen Programmpunkte zu betonen. Aber ich bin nach wie vor der Ansicht, dass eine Einordnung im eindimensionalen Links-Rechts-Schema für die Piratenpartei als innovative Bewegung der Informations- und Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht zielführend ist. M.E. sollte es unsere Aufgabe sein, einen neuen Weg zu beschreiten, der nicht mit Begrifflichkeiten des 19. Jahrhunderts spielt.

Wir haben programmatisch beschlossen, eine Partei zu sein, die insbesondere den Aspekt der Nachhaltigkeit und seine drei Säulen, die ökologische, die ökonomische und die soziale, betont.

Wenn dabei im Programm die Forderungen nach Steuern, etwa nach der Vermögenssteuer und der Finanztransaktionssteuer zu Gegenfinanzierungen und zur Bedämpfung der Finanzmärkte auftauchen, muss dies nicht zwingend als „links“ bezeichnet werden. Und wenn die Linken Ähnliches im Programm haben, bitteschön, was soll uns das kümmern?

Ich lehne wie viele Piraten linken Dogmatismus und oligarchische Parteistrukturen jedenfalls ebenso ab, wie jedwede Formen des Staatsdirigismus. Staat ist der demokratisch bestimmte Gewährsträger für Gemeinwohl und Regeln für Märkte.

Auch lehne ich jedwede „Ismen“ als zu dogmatisch ab. Das politische Geschäft zwingt uns jedoch oft zur kritischen Auseinandersetzung mit Ismen gleich welcher Art.

Es sei mir noch ein Satz zur politischen Ausrichtung meiner Person gestattet. Seit Mitte der Achtziger Jahre bin ich sehr positiv eingestellt gegenüber Philosophiekonzeptionen, die weder rein idealistisch noch rein materialistisch – wie der Marxismus – sind und nach meiner persönlichen Auffassung besonders gut zu den Piraten passen. Dies ist durch Veröffentlichungen meinerseits auch schriftlich belegt, hier und hier.

Wer mich einen Marxisten nennt, liegt also erstens definitiv falsch und tut dies zweitens von einem nicht zukunftsfähigen Standpunkt im alten politischen Spektrum aus.

Und wer etwa den keynesianischen oder auch postkeynesianische Ansätze der Wirtschaftspolitik als „links“ bezeichnet, hat klar ein Bildungsproblem und zeigt stereotype politische Beißreflexe.

Ja, ich liebe Marx, und zwar Groucho Marx und seine Brüder.

 

Nick H. aka Joachim Paul

10 Gedanken zu „Zu Personalien – ich liebe Marx.

  • 30. September 2013 um 23:32 Uhr
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    Über Fraktionsvorsitzende mit Steuerverbot und Fraktionsirrfahrten

    Für die Antwort bedanke ich mich!

    Ich denke, die in der Antwort skizzierte Weltsicht ist unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten logisch und sehr stringent. Der Wissenschaftsreferent der Fraktion merkt hingegen auf Twitter kritisch an, dass die von uns geführte Debatte parlamentsfern sei, also offensichtlich zu wissenschaftlich -:). Auch ich möchte etwas politischer diskutieren. Weil ich in dieser Hinsicht von der Antwort ein wenig enttäuscht war, melde ich mich also nochmals zu Wort.

    Vorab sage ich, dass die Sonderfraktionssitzung der Anlass war, mich zu Wort zu melden. In der Fraktionaussprache wurde von einer Mehrheit der Abgeordneten in öffentlicher Sitzung (konsequent und lobenswert!) mitgeteilt, dass sie mit der Situation der Fraktion unzufrieden seien (der TO-Punkt „Aussprache zur Bundestagswahl“ war hier ausdrücklich nicht gemeint). Die Mehrheit oder zumindest ein Teil möchte eine Debatte über die politische Ausrichtung der Fraktion. Andere sehen Defizite in der Arbeits- und Entscheidungsfähigkeit der Fraktion. Beide Forderungen gehören eng zusammen. Aber kommen wir zur Sache. Aus folgenden Gründen suche ich den Dialog:

    1) Erstens wollte ich hier zeigen, dass Robert Stein mit seiner Einschätzung daneben liegt. Das Programm der Piraten in NRW hat sich seit der Landtagwahl 2012 kaum weiterentwickelt. Das LQFB-System, welches die alltägliche Rückkopplung an Wähler und Parteibasis sichern sollte ebenso nicht. Wo es keine programmtische Weiterentwicklung gibt, kann auch ein programmatischer Rutsch in marxisitische Schubladen nur eine Imagination des Robert Stein sein. Natürlich meinte er jedoch die Praxis und die politische Rhetorik innnerhalb der Fraktion. Ich bin bei diesem Punkt ebenfalls der Meinung, dass einige Aussagen den Ruf „eine Linkspartei mit Internetanschluss“ zu sein, leichtfertig befördern. Ich halte dies für unklug. Robert Stein hingegen hat bei seiner Austrittsbegründung einfach nicht deutlich genug zwischen Programmatik und politischer Rhetorik unterschieden. Der politischen Marxismus spielt keine Rolle in der Fraktion. Dieser bleibt zu diesem Zeitpunkt daher Unsinn.

    – Kurzversion: Robert Stein sieht die Gefahr, dass die Piraten eine „Linkspartei mit Internetanschluss“ werden und hat recht! Die Rede vom Marxismus ist hingegen Unsinn!

    2) Ich möchte zweitens nochmals auf Joachim Pauls Frage „Und wenn die Linken Ähnliches im Programm haben, bitteschön, was soll uns das kümmern?“ näher eingehen. Denn mich kümmert das schon ein wenig. Für die Piraten sollte eine Frage sehr wichtig sein: Wer ist eigentlich unsere Zielgruppe? Wer gehört zur Kernzielgruppe? Auf wen sollte sich die Kommunikation konzentrieren? Wie spreche ich die Zielgruppe an?
    Die Piraten sind sozusagen noch in ihrer Markteinführungsphase und müssen skeptische Wähler mit Innovationskraft und Verlässlichkeit überzeugen. Die anderen Parteien, zumindest CDU, SPD und Grüne, sind dagegen wie Dosenerbsen und Tiefkühlkost, die der Verbraucher aus Gewohnheit in den Einkaufswagen packt. Um kein Leergut zu werden, brauchen die Piraten inhatliche und rhetorische UNTERSCHEIDUNGSMERKMALE!

    Wer dabei eine Einordnung in das Links-Rechts-Schema ablehnt, müsste konsequenterweise typische linke oder rechte Argumentationsmuster meiden und stattdessen zusätzliche Arbeit in neue Konzepte und Begründungen investieren. Sonst ist die Haltung unglaubwürdig bzw. ein Spiel auf Zeit bis vorhandene Interpretationsspielräume zwischen Piratenfraktion und Rezipienten medial von Dritten besetzt werden. Meine Überzeugung ist sowieso die, dass ein Links-Rechts-Schema unüberwindbar ist. Es mag unsinnig sein, aber die Menschen brauchen es um über Politik zu reden. Die Medien nutzen es zur Komplexitätsreduktion und aus Darstellungsgründen. Wegen der Sehnsucht vieler nach einer einfachen politischen Identität bleibt das Schema genau wie die bereits angesprochenen Kardinaltugenden über lange Zeiträume bestehen. Daher sollte dieser Fakt zu Kenntnis genommen werden und die eigene Einordnung in das poltitische Spektrum kommuniziert werden.

    – Kurzversion: Unterscheidungsmerkmale sind wichtig und gehören zum Parteienwettbewerb dazu. Die Ablehnung des Links-Rechts-Schemas ist politisch naiv und kontraproduktiv.

    3) Drittens behaupte ich, dass sowohl Fraktion als auch die Piraten in NRW eine politische Positionierung nicht ewig in die Zukunft verschieben können, da sonst andere die Deutungshoheit über die politische Ausrichtung der Piraten vornehmen. Momentan dient die Piratenpartei noch als Projektionsfläche für alles und nichts. Dies war bisher eine Stärke, aber erschwert jetzt im politischen Alltag die Kommunikation nach außen. Natürlich haben die allermeisten wahrscheinlich eine klare Vorstellungen davon, wohin die Reise gehen soll. Aber dies muss auch gesagt werden, da alles andere Unsicherheit, Misstrauen und Intransparenz fördert. Alles andere ist besser als das! Sogar Plattformen und Flügel.

    – Kurzversion: Die individuelle Entscheidung für eine politische Richtung und ihre öffentliche Vermittlung lösen viele Probleme und sind Voraussetzung für die Organisation gleicher Interessen.

    4) Viertens zum Zitat von Joachim Paul: „Im Übrigen bin ich der Ansicht, dass es einem parlamentarischen Plenum gut ansteht, wenn dort gelegentlich vor-, nach- und quergedacht wird.“

    Nein, ich bleibe dabei. Es ist gibt einen Unterschied zwischen Plenartagen und Parteitagen.Ins Plenum gehört der Konsens einer Bewegung und Partei. Dort wird um parteipolitische Mehrheiten und um die öffentliche Meinung der Gesellschaft gerungen. Auf Parteitagen wird in erster Linie um Mehrheiten in der Partei gekämpft. Aber ich muss zugeben: das steht in keiner Geschäftsordnung und in keinem Lehrbuch und ist ohnehin einzelfallabhängig.
    Meine Begründung ist daher eine pragmatische. Die Menschen und Journalisten sollen die Chance haben zu erfahren, für wen die Piraten in ihrer Gesamtheit stehen und ob sie in der Lage sind, für Positionen Mehrheiten zu organisieren. Das dringt als ein klares Signal nach außen: Folgt aus A auch B oder doch nur C? Oder verständlicher ausgedrückt: Kann ich mich als Wähler darauf verlassen, dass die Piraten für Positionen streiten, die sie mir vor der Wahl versprochen haben? Es ist hart, aber daran sieht man eigentlich, dass Fraktionvorsitzende diejenigen sind, die den geringsten Handlungspielraum aller Akteure haben, da sie Positionen zusammenführen und viele Strömungen vereinen müssen. Ich weiß, der Fraktionszwang wird an dieser Stelle abgelehnt, aber ich würde hier für Fraktionsklugkeit plädieren!

    – Kurzversion: Reden nach dem Prinzip der Wundertüte müssen nicht sein. Die Rede im Plenum ist Plattform um zuvor abgestimmte Positionen in die Öffentlichkeit zu tragen.

    5) Fünftens: Das mit der „Liebe zur Netzpolitik“ sollte eher eine Metapher sein, um für mehr Aufmerksamkeit, zusätzliche personelle und finanzielle Resssourcen für eines der absoluten Kernthemen rund um den digitalen Wandel zu werben. Ich wünsche mir beispielsweise mehr eigene Veranstaltungen zu Open Government, Open Access, eVoting, usw. um Akteure, die sich bereits länger mit diesen Themen beschäftigen, zu diskutieren und einen regelmäßigen Fachaustausch herbeizuführen.

    6) Sechtens: Systemupdate für eine Fraktion auf Irrfahrt

    Bevor die Piraten dem politischen System ein Systemupdate verpassen, braucht die Fraktion selbst ganz dringend eines. Ich weise auf einen gravierenden Systemfehler hin.
    Ohne den Fraktionszwang, der kategorisch abgelehnt wird und ein gutes piratiges Alleinstellungsmerkmal sein könnte, wenn mit den daraus resultierenden Systemproblemen intelligent umgegangen würde, haben wir es mit 19 Individuen – man könnte auch sagen, mit 19 einzelnen Fraktionen zu tun. Jeder ist eine Ein-Personen-Fraktion. Als Lösung für organisatorische Probleme bietet sich eine Organisationsberatung an. Als Lösung für das entstehende Entscheidungsproblem bei inhaltlich-politischen Fragen gab es früher mal die „Liquid Democracy“-Idee, die eine Rückkopplung an Wähler oder Basis ermöglichen sollte.

    -Kurzer „Liquid Democracy“-Exkurs in ferne Galaxien-

    Die Piratenpartei hat 20 Abgeordnete auf eine Expedition gesendet. Jetzt nach über einem Jahr im Landtag hat sich die Piratenfraktion mit Lichtgeschwindigkeit von ihrer Parteibasis entfernt. Um die Entfernung zu beschreiben, reicht das Bild eines Segelbootes, das weit draußen auf offener See in einen Sturm geraten ist, und das jeden Kontakt verloren hat, nicht mehr aus. Viel zutreffender ist das Bild eines Raumschiffes in einer weit entfernten Galaxie, das sich in einem Asteroidenfeld befindet. Die Gefahr besteht, dass der Heimatplanet nie mehr – zumindest nicht bis zum nächsten Parteitag – angesteuert werden kann. Ein wenig ärgerlich ist schon jetzt, dass einer der 20 Piraten unter einem schweren intergalaktischen Schock steht und lieber bei CDU-Aliens und FDP-Marsmenschen zurückbleiben oder orientierunglos im All umherschwirren muss. Aber wirklich tragisch ist die geringe Wertschätzung des „Liquid Democracy“-Ansatzes, von dem sich viele eine Art „Beam me up, Scotty“ für die Piratenbasis versprochen hatten, mit dem der Kontakt niemals abgerissen wäre.

    Kluge Menschen des 21. Jahrhunderts haben jedenfalls in §10 der Fraktionssatzung eine entsprechende Lösung vorgesehen. Allein passiert ist noch nichts. Kurz- und mittelfristig ist hier nicht mit einem Fortschritt zu rechnen, weil die Fraktion zunächst eine Satzung verankern und zusätzliches Geld investieren müsste, um eine professionelle Lösung mit entsprechender Zuverlässigkeit (fort-) zuentwickeln. Viele ehrenamtliche Piraten, die sich schon länger mit der Weiterentwicklung der einst hoch im Kurs stehenden Tools beschäftigen, warten bisher vergebens auf ein Signal aus der NRW-Fraktion, um beispielsweise erste Ergebnisse zu präsentieren. (vgl. Problemanalyse zwischen Basis und Fraktion unter https://pad.piratenfraktion-nrw.de/p/AG_Basisbeteiligung)

    -Exkurs beendet-

    Neben dem mittel- und langfristigen Projekt „Liquid Democracy“ bedarf es auch einer kurzfristigen Perspektive, um Entscheidungs- und Arbeitsfähigkeit herzustellen. Im Bund beginnen in diesen Tagen Koalitionverhandlungen. Eigentlich bräuchte die NRW-Piratenfraktion kurzfristig ebenso einen Koalitionsvertrag, also ein Papier auf dem nachzulesen ist, wofür die Piraten stehen und was sie erreichen wollen!

    Ohne funktionierende Entscheidungsmechanismen sowohl von „oben nach unten“ (= Politischer Vorstand) und von „unten nach oben“ (= Basis entscheidet) werden Misstrauen und Intransparenz im Alltag und besonders im Konfliktfall an der Tagesordnung bleiben. In diesem Konstrukt kann sich der Vorstand nicht bei der Fraktion beschweren und die Fraktion nicht beim Vorstand. Schuldzuweisungen jeder Art sind sinnlos.

    Ich würde für die Festlegung von politischen Zielen und einer Strategie für die Fraktion sofort einen professionellen Moderator holen, damit sich jeder einzelne Abgeordnete auf Inhalte konzentrieren kann und nicht an Einfluss verliert, weil er als einer von neunzehn Abgeordneten in eine neutrale Moderatorenrolle gedrängt wird (= Vernunft entscheidet). Den Moderator für den Interessenausgleich würde ich über eine neutrale Agentur gleich in dieser Woche verpflichten (für diese Variante hat sich Oliver Bayer bereits ausgesprochen)!

    Für darüber hinaus gehende Konflikte benötigte man übrigens eher eine Mediation, eine Aufgabe die ein Moderator nicht übernehmen kann. (Dies wurde in der Fraktionssitzung mehrmals durcheinandergebracht.)

    Als Vorbereitung für die inhatliche Debatte sollte sich jeder Abgeordnete nochmals folgende Frage stellen: Warum sollten die Piraten als Partei in Parlamenten vertreten sein?

    Die Alternativen sind dagegen viel düsterer. Nichts tun bedeutete zwar, dass alle weiterhin irgendwie gleichberechtigt sind, was erstmal schön klingt, aber am Ende nur dazu führt, dass keiner mit irgendeinem Thema durchdringt! Hier sollte nach einem Jahr etwas mehr Realismus einkehren.

    Immerhin geht es um gute Ideen und den Ruf der Piraten als Bewegung und als Partei, um den Ruf eines jeden einzelnen Abgeordenten und vor allem um den Ruf vieler Mitarbeiter in der Fraktion sowie – nicht zu vergessen – um etwas mehr als 600.000 Wähler aus NRW, die in ihrem Bekanntenkreis gelegentlich auf die Mütze kriegen, weil sie die Piraten gewählt haben.

    – Kurzversion: Systemische Hauptprobleme der Fraktion (Entscheidungsunfähigkeit, Keine unabhängige Moderation und Mediation, Fehlende Bereitschaft um individuelle Handlungsfreiheit zugunsten einer Handlungsfähigkeit der Fraktion aufzugeben, Gruppendynamische Tendenz zur einer mangelhaften Gesamtverantwortung für das „Projekt“ Piratenpartei), Zudem: Vernachlässigung von „Liquid Democracy“ als Epic Fail

    7) Siebtens: Verzeihung, Joachim Paul! Es sind schon wieder 4 Seiten! Demnächst gerne mehr zur Kybernetik (wenn die ansprochenen poltischen Fragen geklärt sind)…

  • 30. September 2013 um 17:22 Uhr
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    Nun akzeptiere ich zwar, dass ich – seit Februar ohne Amt und Würden – nicht zwingend mit einer Antwort bedacht werden muss.

    Aber in den ganzen Bleiwüsten vermisse ich eins: eine Erklärung für das von Nico Kern im Fraktionsblog skizzierte Abstimmungsverhalten bzw. die Unterschiede Abstimmung innerhalb der Fraktion ggü der im Parlament (http://www.piratenfraktion-nrw.de/2013/09/was-wirklich-geschah/). Spannend.

  • 28. September 2013 um 13:26 Uhr
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    @Ohrgefluester

    Lieber Carsten,

    vielen Dank für Deine sehr lesenswerten Anmerkungen!

    ich bin übrigens kein Keynesianer. Ich hätte gar nicht das Recht mich so zu nennen, denn das würde ja voraussetzen, dass ich ihn eingehend studiert habe, was ich (noch) nicht getan habe. Bei Paul Krugman und Steve Keen habe ich ein bisschen rumgelesen.

    Ich habe Keynes lediglich als Beispiel gebracht für eine positive Haltung gegenüber staatlichen Investitionen inklusive Begründungsverhalten im Theoriemodus.
    Und bei einer legitimen Gesamtbetrachtung darf eben auch der historische Aspekt nicht fehlen, dass Linke, gerade klassische europäische Linke, Keynes als „Retter des Kapitalismus“ bezeichnet haben.
    Links, wie Du richtig sagst, definiert sich eben nicht nur durch ein bestimmtes Meinungsfeld zu Staatsschulden. Und vor dem Hintergrund der von Dir angeführten Studie mit den Positionen (pos. 4xz) und quantitativen Aussagen wird wie Du selbst ja auch deutlich sagst, dass netzpolitische Aspekte dort völlig fehlen. Sie stehen als neue politische und mediale Randbedingungen für Politik quer zu den althergebrachten und haben das ganze politische Spielfeld möglicherweise grundlegender verändert, als dies bei der Einführung des Buchdrucks geschah. Das habe ich übrigens immer gesagt. Allein von dort aus gesehen kann man sagen, das Links-Rechts-Schema gehört zur Gutenberg-Galaxis. Und wir sind unterwegs in die Netzwerk-Galaxis.

    Das bringt mich auf Weiteres, dass ich im Blogbeitrag im postid. postmat. Teil nur angedeutet habe. Neben den netzpolitischen gibt es noch andere Randbedingungen. Unsere begrenzten Ressourcen und die nicht erneuerbaren Brennstoffe zeigen uns klar auf, dass letztlich alle Volkswirtschaft unwiderruflich an die Physik, genauer, die Thermodynamik gekoppelt ist. Die aktuellen Strukturen der Finanzmärkte scheinen mir aber eher einem perpetuum mobile Ansatz zu folgen. Vulgo könnte ich sagen, hey, ich bin dagegen, und zwar aus rein physikalischen Gründen 😉
    Das wäre dann doch etwas zu einfach.
    Wenn ich jetzt aber sage, ich pflege, was den Tatsachen entspricht, einen kybernetisch-systemischen Ansatz, dann ist das wieder erklärungsbedürftig im Modus von tl;dr. Kybernetik wird möglicherweise auf der Basis einer alten Stammtischlogik ohne Netzanschluss missverstanden. Da gibts ja so bananige vulgärnegative Assoziationen wie die Cyborg-Terminator-Matrix-Geschichten, Maschinisierung von Mensch und Gesellschaft und dergleichen mehr. Dies zu entkräften, dafür wäre neben Kybernetik auch der Maschinenbegriff zu erklären, denn es gibt mindestens zwei, einen klassischen und einen transklassischen Maschinenbegriff. Davon überhaupt zu wissen, ist noch nicht mal Allgemeinbildung, leider.
    Hier nur soviel, einer der Mitbegründer der Kyb., der Physikus Heinz von Foerster, den man auch als Vater des rad. Konstruktivismus bezeichnet, nannte eine seiner Aufsatzsammlungen „KybernEthik“. Das zeigt schon, dass da weitaus mehr drinsteckt.
    Eine besondere Pointe ist, dass orthodoxe Linke dazu neigen, die Kyb. als retrograd-kapitalistische Theorie zu bezeichnen. Damit wäre dann die Verwirrung perfekt und andererseits eindrucksvoll dokumentiert, dass Interpretationen immer standpunktabhängig sind, was das R-L-Schema angeht.

    Weiteres:
    Mögliche Fragen zu und Antworten auf einen Satz wie „Ich liebe Groucho Marx“, dessen Kontexte sich – was kein Drama ist – vielleicht nicht jedem sofort erschließen, sind in Zeiten von Google niederschwellig auffindbar.

    „Ich liebe das Netz“ erschließt sich selbst dort nicht so leicht, denn es wäre neben vielem Anderen zunächst zu klären, ob das Netz ein Ding ist und/oder etwas anderes und weiter, was unter Liebe zu Dingen verstanden werden kann.

    Im März 1999 veröffentlichte ich ein Buch mit dem Titel „Das große Buch FrontPage 2000“. Das Vorwort schließt mit dem Satz: „Sie und ich, wir sind das Netz. Im Mai 2013 veröffentlichte ich eine Aufsatzsammlung mit dem Titel „TRANS- Reflexionen über Menschen, Medien, Netze und Maschinen“. Der letzte Aufsatz „Anmerkungen eines Ketzers“ schließt mit dem Satz „Sie und ich, WIR sind das NETZ.“

    Und heute erleben wir, dass die SPD das Wir zum Slogan, zur Marke, gemacht hat. Gibt’s sowas wie ein Parteiunterbewusstsein? 😉

    Im Übrigen bin ich der Ansicht, dass es einem parlamentarischen Plenum gut ansteht, wenn dort gelegentlich vor-, nach- und quergedacht wird. Im Gegensatz zu Parteitagen ist man dort mit politischen Mitbewerbern und Gegnern zusammen, die darauf vielleicht ein Recht haben.

    Politik ist Kommunikation. Wissenschaft auch.

    All the best, Joachim

  • 28. September 2013 um 09:34 Uhr
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    Lieber Carsten,

    vielen Dank für Deinen ebenso langen wie kompetenten Beitrag, dazu später mehr …
    Aber nein, ein Lektorat gibt es nicht. Dennoch will ich mal nicht so sein und habe es daher verbessert.
    LG, Nick H. aka Joachim

  • 28. September 2013 um 01:21 Uhr
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    Ich bitte um Nachsicht: Groucho heißt der natürlich!

    Ich hoffe das Vordenker-blog hat ein Lektorat -:)

    Schönes Wochenende

  • 28. September 2013 um 01:08 Uhr
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    Über Keynes und Marx im Internetzeitalter (Replik)

    Mir fällt folgender Satz ins Auge:

    „Und wer etwa den keynesianischen oder auch postkeynesianische Ansätze der Wirtschaftspolitik als “links” bezeichnet, hat klar ein Bildungsproblem und zeigt stereotype politische Beißreflexe.“

    Zunächst bin ich der Meinung, dass in der Politik eine theoretische Fundierung nicht so schlecht ist, was aber natürlich auch an der jeweiligen Theorie selbst liegt. Wenn eine bestimmt Theorie dazu beiträgt nicht nur als „kläffender Hund“ sondern auch als „bissig“ wahrgenommen zu werden und die Theorie darüber hinaus auch für die eigenen politischen Ziele geeignet ist, sollte sie in den politischen Prozess eingebracht werden.

    Insofern hat Joachim Paul recht. Leider irrt er aber auch gleichzeitig fundamental. Er irrt, wenn er glaubt, dass Politik im Namen einer bestimmten Theorie einen politischen Gewinn erzeugt, diese aber in Wirklichkeit aufgrund ihres Rufs eine rationale Debatte und Mehrheiten verhindert.

    Ich zitiere im folgenden aus dem gewerkschaftsnahen Blog „Wirtschaft und Gesellschaft“, der sich sehr differenziert mit den verschiedenen Spielarten des Keynesianismus auseinandersetzt. Das erste Zitat lautet:

    „Jede genauere Rückschau zeigt (…), wie im Zuge konkreter sozioökonomischer Entwicklungen, Konflikte um die Deutungshoheit in der Sozialwissenschaft, in Parlamenten, Parteien wie Gewerkschaften unterschiedliche Positionen über den Keynesianismus vorgetragen wurden. Bei Bedarf ließen sich diese überaus leicht ideologisch verbrämen und instrumentalisieren. Allein daraus erklärt sich die Meinungsvielfalt darüber, was Keynes wirklich sagte und was den “Keynesianismus” letztlich ausmache.“ [1]

    Also soweit stimme ich im Sinne der keynesianischen Theorie dem Anliegen Joachim Pauls zu. Der Autor des hier verwendeten Zitats stellt jedoch fest, dass der Keynesianismus einer breiten Interpretations-vielfalt unterliegt. Ich sehe das auch so. Dem Urheber Keynes in einer politischen Debatte gerecht zu werden, erweist sich mittlerweile als eine Aufgabe, die nur noch Wirtschaftshistoriker oder in diesem Fall von Gewerkschaften bezahlte Blogger mit viel Zeit für das (Liebhaber-) Thema leisten können. Den meisten Menschen dürfte die Debatte um Keynes allerdings ziemlich egal sein. Die persönliche Sichtweise auf den Theoretiker Keynes ist ohnehin nicht von der Überzeugungskraft des Originaltextes abhängig sondern von der Interpretation der Zeitgenossen. Die Interpretation ist vor allem von der eigenen politischen Sozialisation abhängig. Es ist ein Unterschied, ob man sich für Politik erstmals in Zeiten einer Wirtschaftskrise oder eines Aufschwungs beschäftigt. Das wirtschafts- und finanzpolitische Profil der Piratenpartei, die sich in der Hochphase der Krise konstituierte, wurde stark von dieser beeinflusst. Joachim Paul, der die Ursachen dieser Krise keinesfalls als beseitigt ansieht, hält am Keynesianismus als ein wichtiges wirtschaftspolitisches Instrument fest. Das Problem ist aber dessen Ruf (natürlich der von Keynes und nicht der von J. P.): Ich zitiere dazu nochmals aus dem genannten Blogbeitrag:

    „Das Keynes-Revival im politischen Mainstream und den Medien blieb ein kurzes, substanzloses PR-Intermezzo. Im Unterschied zum liberal-konservativen Spektrum hatten in akademischen Zirkeln und der Linken inner- und außerhalb sozialdemokratischer, sozialistischer Parteien, in Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Gruppen keynesianische Ideen zwar überwintert. Aber aus den erwähnten Gründen gab es auch hier keine konsistente Position mit Breitenwirkung auf der Höhe der Zeit.“

    (…)

    „Wenn überhaupt changiert die Debatte im linken Spektrum zwischen der Überhöhung eines theoretischen Ansatzes als wirtschaftspolitischer Gral einer praktischen Linken und dem radikalen Verriss aufgrund seiner Unzulänglichkeit im Zeitalter von Globalisierung, Überakkumulation und Umweltzerstörung.“

    Wir können zwei Dinge feststellen. Erstens: Ein Bildungsproblem besteht wenn überhaupt nur in Bezug auf die ursprüngliche Theorie, die kaum einer kennen dürfte. Zweitens: Im politischen Diskurs gehört Keynes eindeutig in die „linke Ecke!“ Hier ist die Debatte eben nicht 1936 stehen geblieben. Historiker und Akademiker mögen diese Debatte gerne nachzeichnen. Für politisch Interessiere ging es jedoch nie um eine akkurate Auslegung der Theorie. Im politischen Raum geht es allein um die Frage, wie wir Keynes interpretieren und ob Keynes zur Umsetzung unserer politischen Vorstellungen hilfreich ist. Über das Ergebnis entscheiden Ruf und Deutungshoheit. Das obige Zitat ist in dieser Hinsicht eindeutig. Zudem wird zum Beispiel eine Befürwortung der Staatszentrierung, die immer folge zusätzlicher öffentlicher Schulden ist, als typisch für eine Verortung im linken Spektrum angesehen. Dazu verweise ich auf eine aktuelle Studie des WZB:

    http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-09/parteien-bundestagswahl-linksruck-fdp-wahlprogramm

    mit mehr Details und auch der Rohdaten unter:

    http://democracy.blog.wzb.eu/2013/09/16/und-sie-unterscheiden-sich-doch-eine-analyse-der-wahlprogramme-zur-bundestagswahl-2013/

    „Links“ wird in dieser Studie u.a. über folgende Indikatoren definiert (Realdefinition):

    Gesellschaftliche Themen:
    pos. 404 Economic Planning
    pos. 403 Market Regulation
    pos. 412 Controlled Economy
    pos. 406 Protectionism
    pos. 504 Welfare State Expansion

    Ökononische Themen:
    Pos. 409 Keynesian Demand Management
    pos. 415 Marxist Analysis

    Die ermittelten Werte geben anhand der Wahlprogramme (1990-2013) an, bei welche Parteien die beispielhaft genannten Indikatoren (es gibt natürlich noch viel mehr) nachweisbar sind. Bei den von mir exemplarisch herausgegriffenen sind die zugehörigen Parteien ausschließlich Parteien des linken Spektrums. Dies ist ein eindeutig evidentes Ergebnis.

    Kann man jetzt jedoch eindeutig sagen, die Piraten sind eine Linke Partei, die sich wohlmöglich nur durch einen Internetanschluss von anderen Parteien unterscheidet?

    Aus wissenschaftlicher Sicht wurde die Programmatik bisher ziemlich wenig untersucht. Und dies hat Gründe…

    Denn anhand des Piratenprogramms lässt sich nicht genau verorten, wo sich die Piraten im pol. Spektrum verorten lassen. Auch Fachartikel, die ich bisher zu dem Thema vorfand, analysieren die Piraten – zumindest im Vergleich zu den anderen Partien – meistens nicht. Das liegt daran, dass viele Forscher teilweise vor erheblichen methodischen Probleme stehen, da für die Piraten oft neue Analysekategorien geschaffen werden müssten. Die Netzpolitik ist so ein Beispiel. Dieses Politikfeld ist noch nicht erschlossen. Hier gibt es einfach noch keine politikwissenschaftlich anerkannte Konfliktlinie wie beispeilsweise die Konfliktlinie Umwelt vs. Wirtschaft oder Arbeit vs. Kapital. Hier muss sozusagen noch das „Versus“ geklärt werden
    (Digital Natives vs. … ? /Das Netz vs. … ?)

    Wo genau neue Konfliktlinien verlaufen und wie die Piraten diese besetzen ist bisher nicht abschließend geklärt. Dazu empfehle ich unbedingt den unten aufgeführten Merkur-Artikel [2].

    Für Außenstehende sind andere Daten ebenso wenig aussagekräftig, wie beim Versuch über eine Wähleranalyse auf die Ausrichtung der Piraten rückzuschließen. So wählten zwar 40 Prozent der WählerInnen 2012 wegen des Motivs der sozialen Gerechtigkeit die Piraten – und nicht etwa wegen der Netzpolitik. Aber die Daten berücksichtigen zu wenig das Verhältnis von Stammwählern zu einmaligen Protestwähler, die diese Umfrage arg beeinflussten.

    Die Otto-Brenner-Stiftung hat die „internen“ Debatte bei den Piraten analysiert (Mailinglisten- und Foren-Analyse):

    „Die Piratendiskurse liefern Impulse für die Debatte um die zeitgemäße Ausgestaltung des Sozialstaats, sie sind Beiträge zu einem offenen Sozialdiskurs unter komplexen gesellschaftlichen Bedingungen. Strittig ist die Instrumentierung einer Politik, die das Soziale an der Marktwirtschaft reanimieren soll. Die Bandbreite reicht von massiven staatlichen Interventionen bis zur „Rückkehr“ zu einer staatsarmen, staatsfernen reinen Marktwirtschaft. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf der Verteilung des – irgendwie – erwirtschafteten Reichtums und auf der Frage, wie er für die Finanzierung des Grundeinkommens herangezogen werden kann, weniger auf den Bedingungen seiner Erwirtschaftung. (…) Eine Steuersenkungs-partei können die Piraten aufgrund ihrer sozialpolitischen Grundorientierung nicht werden.“ [3]

    Dennoch könnte Joachim Paul am Ende wohlmöglich richtig liegen, wenn er sagt „dass eine Einordnung im eindimensionalen Links-Rechts-Schema für die Piratenpartei als innovative Bewegung der Informations- und Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht zielführend ist“, da die Piraten – wie oben besprochen – einige neue Elemente in die Politik einführt haben. Meine Erfahrung ist allerdings, dass es auch immer Gegenbewegungen gibt. Dann streitet man. Am Ende verorten fließige Forscher die Positionen wieder in einem Rechts-Links-Schema mit seinen Ausprägungen hin zu autoritären, liberalen bzw. libertären Werten. Es ist ein wie mit Tugenden – hier reden wir ebenfalls seit über 2300 Jahen von den immergleichen Kardinaltugenden wie Demut, Geduld und Fleiß, die trotz gelegentlicher Modeerscheinungen stets diesselben blieben.

    Natürlich wäre die Überwindung eines eindimensionalen Links-Rechts-Schema schön und vielleicht würde dies zeigen, dass sich die Kommentatoren, Berater und Erforscher des Politikbetriebes auf die Piraten und einen möglichen Politikwandel eingestellt haben. Auf dem Weg dahin würde ich mir allerdings wünschen, häufiger den Satz „Ich liebe das Netz“ anstatt „Ich liebe (Groucho) Marx“ zu hören. Denn erstens finden sich Klassiker wie „Duck Soup“ sowieso nur noch auf You-tube und nicht mehr in der örtlichen Videothek und zweitens werden die Kernthemen der Piraten rund um die Digitalisierung aller Lebensbereiche eher dabei helfen als Debatten um Keynes und die Vermögenssteuer, für die andere Parteien bereits stehen und weiterhin stehen mögen. Das meine ich null ideologisch und zu 100 Prozent strategisch – und generell bezogen auf bereits ausgearbeitete Programme. Wenn dann zusätzlich auch ein finanzpolitisches Konzept, dessen erster Ansatz mir in der Begründungspflicht gegenüber dem Steuerzahler noch unklar ist (Wofür genau werden zusätzliche Steuereinnahmen verwendet bzw. zuerst verwendet) eine Mehrheit bekäme, würde ein Konzept vorliegen, auf das eine ganze Fraktion Stolz sein könnte, da es kein Stückwerk darstellen würde.

    Ein Fraktionsvorsitzender hat aus meiner Sicht in einem solchen Prozess wegen der höheren und nicht zu unterschätzenden Verantwortung auch immer etwas größere Handlungsspielräume, aber nirgends steht, dass ein Vordenker live im Plenum vordenken muss! Dafür gibt es Parteitage, auf denen um Mehrheiten für Ideen, Theorien und Vorschläge geworben wird. Willy Brandt verfolgte beispielweise die Strategie, dass er eine Rede vor größerem Publikum immer nur aus Redeteilen zusammensetzt, für die er bereits im kleineren Rahmen Applaus erhalten hat. So wusste er sich zumeist in Übereinstimmung mit seiner Partei. Über den Weg der Rede suchte er den Parteikonsens. Bei den Piraten sind aus diesen und anderen Gründen Reden mitunter Wundertüten, die grandios sein, aber mitunter auch enttäuschen können. Auch deshalb sind übrigens Stammtische eine überaus wertvolle Institution. Was dort nicht verstanden wird, gehört auch nicht ins Plenum. (bitte diese Vorlage nicht für eine Polemik zum „Stammtischniveau“ nutzen, denn ich kenne die Stammtische der Piraten; und das Diskussionsniveau dort ist gut)

    Fazit:
    Wir sollten Debatten um Keynes & Co. nicht dogmatisch ablehnen sondern nach den erwartbaren Folgen einer wirtschaftspolitischen Anwendung im digitalen Zeitalter fragen -ohne zu verhehlen, dass beispielsweise Keynes nicht umsonst so umstritten ist. Dies mag nicht in der Theorie sondern im politischen Diskurs begründet sein. Diesen zu ignorieren und die politische Signalwirkung bestimmter Buzzwords zu bestreiten, kann allein aus politisch-strategischen Überlegungen nicht sinnvoll sein. Es ist bisher parteiintern nicht abschließend geklärt, für welche politische Richtung die Piraten derzeit stehen. Nach außen verlieren die Piraten zeitgleich einen Teil der Deutungshoheit. Warum also in wichtigen Zukunftsdebatten durch die Bezugnahme auf politisch-babylonisches Sprachwirrwarr, unnötigem Begriffs-Ballast und Politikkonzepten, die schon in vergangenen Debatten höchst umstritten waren „stereotype politische Beißreflexe“ fördern und dem politischen Gegner länger unnütz die eigenen Knochen hinhalten?

    [1] See more at: http://www.wirtschaftundgesellschaft.de/2013/08/welcher-keynes-darf%C2%B4s-denn-sein-von-christian-christen/#sthash.wNBMqTfH.dpuf

    [2] Vgl. Schulz, Stefan (2012): Zwischen Netzwerk und Organisation . Zum Erfolg der Piratenpartei. Die Piratenpartei in der ideologisch-programmatischen Parteienkonstellation Deutschlands : das Füllen einer Lücke? Seite 452-59. In: MERKUR 05/2012. Heft 756. Stuttgart.

    [3] vgl. Hönigsberger, Herbert / Osterberg, Sven (2013): Wie sozial sind die Piraten? Die soziale Frage in Programmen und Piratendiskursen. In: OBS-Arbeitspapier 5. Otto-Brenner-Stiftung. Frankfurt am Main, abgerufen unter http://www.otto-brenner-shop.de/fileadmin/user_data/shop/dokumente/Arbeitspapiere/Wie_sozial_sind_die_Piraten__Teil_1__Ergebnisse.pdf

  • 27. September 2013 um 17:24 Uhr
    Permalink

    Gut, korrupt ohne Ende seid Ihr wohl alle, egal ob 20 oder 19.
    Erfreulich wäre es immerhin, wenn Ihr Euch jetzt zügig gegenseitig den Garaus machtet, die Partei hätte dann eine Chance für einen Neuanfang.

    Was die Verweigerung von Diskursen angeht, so verweise ich auf zwei bis heute unbeantwortete Offene Briefe, wobei auf den ersten noch so etwas wie eine Reaktion erfolgte, allerdings ohne Inhalt und insgesamt auf dem leider hier üblichen Niveau schwer pubertierender Halbstarker:
    http://wiki.piratenpartei.de/Offener_Brief_Nichtraucherschutzgesetz_NRW
    http://wiki.piratenpartei.de/Schutz_vor_Passivrauch/NiSchG_NRW:_2._Offener_Brief

    Mittlerweile ist der Kollege Schmalenbach, sicherlich einer der nächsten Wechsler zur FDP, dazu übergegangen meine Kommentare nicht mehr freizuschalten, mal sehen, ob das hier auch so gehandhabt wird (werde es dann woanders veröffentlichen).

  • 27. September 2013 um 11:05 Uhr
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    Ohne das Verhalten von Robert Stein in irgend einer Form zu verharmlosen, auch ich warte seit 10 Monaten auf eine Antwort bzw. einen versprochenen Diskurs mit Dir zu einem ganz bestimmten offenen Brief.

    Ciao

    Achim

  • 27. September 2013 um 10:17 Uhr
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    Umgekehrt scheint ja eher ein Schuh draus zu werden. Wer andere nach CDU-FDP-Manier zu diskreditieren versucht mit Vokablen aus der Zeit des Kalten Krieges, zeigt in Zusammenhang mit Manadatsnichtrückgabe und Wechselankündigung zu selbigen Parteien, wes „Kind“ er letztlich ist. Riecht schon fast nach Karrieregeilheit. Muss er mit sich und seinem Spiegelbild ausmachen letztlich…

  • 26. September 2013 um 17:40 Uhr
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    „Ich habe ihn daraufhin, da er bei der seiner Rede folgenden Fraktionssitzung nicht anwesend war, auf einer öffentlichen Fraktionsmailingliste, wiederholt! gefragt, was er denn allgemein unter “links” und unter “linker Finanzpolitik im Besonderen” verstehe. Auf seine Antwort warte ich bis heute. Das spricht für sich.“ Allerdings.

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