TOP 1, 30.11.2016, Haushalt 2016, 2. Lesung, Einzelplan 06, Innovation, Wissenschaft und Forschung, Landtag Nordrhein-Westfalen

Meine Rede zu TOP 1, 30.11.2016, Haushalt 2017, 2. Lesung, Einzelplan 06, Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung – Landtag Nordrhein-Westfalen

Aus dem Plenarprotokoll: Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Dr. Seidl. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Dr. Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Da sieht man mal, was passiert, wenn man den wichtigen Einzelplan 06 erst um diese Zeit diskutiert. Was herauskommt, ist – siehe Dietmar Bell – eine schlechte Rap-Nummer, mehr nicht.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Platz Nummer eins! – Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Die Einzelplanberatungen im Haushalt sind natürlich immer eine gute Gelegenheit, gerade darüber zu streiten, ob die Ausrichtung der Politik in dem Fachressort auch die richtige ist. In einer Haushaltsberatung vor dem Jahr der Landtagswahl ist es natürlich auch normal, dass man einmal die gesamte Legislaturperiode betrachtet.

Vom Prinzip her könnte ich jetzt schon aufhören. Denn eine Ausrichtung außer einem „Weiter so“ ist ja nur schwer erkennbar. Aber mal der Reihe nach! Diese Legislaturperiode muss man auch so betiteln, wie sie im Wissenschaftsbereich war. Statt des schönen Untertitels „Wissenschaft –Chancen“ sollte der Slogan für diese Legislaturperiode „halbherzig und mutlos“ heißen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir loben ausdrücklich, dass die absolute Zahl der Mittel in den letzten Jahren stetig angewachsen ist und sich das Volumen ganz entgegen dem allgemeinen Kürzungstrend deutlich erhöht hat. Aber da hört es auch schon auf. Wie schon gesagt wurde, die Pro-Kopf-Ausgaben sind deutlich gesunken. Das hat für uns allerdings strukturelle Gründe. Eine chronische Unterfinanzierung der Hochschulen ist schon seit Jahren festzustellen, und die droht auch, sich auch auf die Qualität der Lehre und Forschung auszuwirken. Ich muss jetzt aufpassen, sonst heißt es nachher wieder, ich würde die Menschen an den Universitäten und Fachhochschulen schlechtreden. Ganz im Gegenteil,

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

die leisten unter den Bedingungen wirklich Enormes.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Natürlich werden große Summen – Herr Bell hat die „Kräne“ erwähnt – für den Hochschulausbau und die Modernisierung bereitgestellt. Aber das reicht bei Weitem nicht aus. Hier würden wir uns noch etwas mehr Engagement wünschen.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Darf es noch ein bisschen mehr sein? – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wie viel denn? Eine oder zwei Milliarden?)

Wir haben bereits zu Beginn der Legislaturperiode hier Anträge zum Thema „Transparenter Einzelplan“ gestellt. Wir haben sicher auch eine unterschiedliche Auffassung zur Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse, Herr Mostfizadeh. Aber das möchte ich jetzt nicht ausführen. Das fassen wir ein anderes Mal auf.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Bringt auch nichts! Die ist im Grundgesetz! – Michele Marsching [PIRATEN]: Ach so! Wenn es drinsteht, darf man nicht diskutieren! Gute Idee!)

2013 haben wir bereits festgestellt, dass die Abbildung der Hochschulglobalhaushalte im Haushaltsplan des Landes NRW für den Gesetzgeber nur schwer nachzuvollziehen ist. Die einzelnen Ansätze der Hochschulen ergeben kein genaues Bild darüber, an welchen Stellen finanzielle Engpässe entstehen oder wie effiziente Mittelnutzungen durchgeführt werden. Hier ist vor allem die Frage der Transparenz der Mittelverausgabung die entscheidende. Der Haushaltsgesetzgeber muss bei der Entscheidung über die milliardenschweren Finanzmittel seinem treuhänderischen Auftrag der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auch gerecht werden können.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Das ist aber nur unzureichend möglich, da die reellen Mittelausgaben der Hochschulen eben nicht abgebildet werden. Hinzu kommen wettbewerbsorientierte, leistungsorientierte Mittelvergaben, die die Hochschulen noch zusätzlich unter Druck setzen und Gewinner und Verlierer produzieren. Das wurde uns damals von vielen Seiten bestätigt. Passiert ist nichts.

(Zuruf von Michele Marsching [PIRATEN])

Auch wurde im gleichen Antrag eine Vereinheitlichung bzw. eine sinnvolle Zusammenfassung der vielschichtigen Berichte der Hochschulen angeregt. Passiert ist auch da nichts, obwohl die Hochschulen dieses ebenfalls für sinnvoll erachtet haben.

Die Landesregierung – ich muss es noch einmal sagen, mache allerdings keinen Rap daraus – ist halbherzig und mutlos. Nehmen wir das sogenannte Hochschulzukunftsgesetz. Man könnte abschweifen und die politische Sprache kritisieren: Was für eine erbärmliche Tautologie! Hochschule hat immer mit Zukunft zu tun. Für Schwarz-Gelb gilt dasselbe: Hochschule hat immer mit Freiheit zu tun. Das steht im Grundgesetz, Art. 5, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.

(Beifall von den PIRATEN – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Die Schuldenbremse steht auch im Grundgesetz!)

– Ich weiß. Das ist ein Rechenfehler, Reinhart/Rogoff – soll ich Ihnen das bei Gelegenheit noch einmal explizieren? Vielleicht melden Sie eine Kurzintervention an, dann habe ich die Gelegenheit dazu.

(Thomas Nückel [FDP]: Machen wir eine Vorlesung! – Gegenruf von Michele Marsching [PIRATEN]: Kann er auch machen, kein Problem! – Gegenruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Keine Angst!)

Die nordrhein-westfälischen Hochschulen haben in den letzten Jahren einen Paradigmenwechsel vollzogen. Durch die vermehrte Ausrichtung nach wirtschaftlichen Wettbewerbskriterien – man kann immer fragen, wie sinnvoll das in der Wissenschaft ist – wurden die Hochschulen vor große Herausforderungen gestellt und durch das Hochschulfreiheitsgesetz wirtschaftlich autonom organisiert.

Dabei ist nachgerade die wissenschaftliche Autonomie nicht gefördert worden, da durch das Hochschulfreiheitsgesetz neue Steuerungselemente geschaffen wurden, die dem aktuellen Stand modernen und Innovationsmanagements in keiner Weise entsprechen. Starre Top-Down-Steuerung durch nicht verfassungskonforme und demokratisch legitimierte Hochschulräte hat die bisherige ministeriale Fachaufsicht ersetzt.

Gleichzeitig wurde durch die Personalhoheit der Hochschulen und der damit einhergehenden Dienstaufsicht sowie des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes auf Bundesebene prekärer Beschäftigung in der Lehre Tür und Tor geöffnet. Eines der eigentlichen Ziele des Hochschulfreiheitsgesetzes, der Bürokratieabbau, wurde nur im Ministerium erreicht. Die Hochschulen haben ihrerseits einen eigenen Bürokratieapparat aufbauen müssen, der sie in manchen Fällen von ihrem eigentlichen Auftrag, nämlich Forschung und Lehre, abhält.

Professorinnen und Professoren beklagen zu Recht, dass sie mehr und mehr Drittmittel einwerben müssen und dass diese Akquise sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Das ist der chronischen Unterfinanzierung geschuldet. Ich will dabei wirklich nicht in Abrede stellen, dass der Etat gestiegen ist. Dabei bemüht sich die Landesregierung; das ist anzuerkennen. Aber es reicht eben nicht.

Warum zitiere ich diesen Text aus einem Entschließungsantrag von uns Piraten? Weil durch das Hochschulzukunftsgesetz das Hochschulfreiheitsgesetz in seinem neoliberalen New-Public-Management-Geist weiterbesteht. Die Landesregierung war da halbherzig und mutlos.

Apropos Mutlosigkeit: Ein Synonym dafür ist das Hilfspflaster des Hochschulzukunftsgesetzes, der Rahmenkodex für gute Beschäftigungsbedingungen. Die Mutlosigkeit, dem New-Public-Management wirklich etwas konstruktiv-innovativ Neues entgegenzusetzen, drückt sich immer noch in den Befristungen an den Hochschulen aus. Das ist nach unserer Auffassung höchst innovationshemmend und daher wissenschaftspolitisch unverantwortlich.

Wir bleiben dabei: Erstens. Die Verankerung des Rahmenkodex für gute Beschäftigungsbedingen, der im Rahmen des Hochschulzukunftsgesetzes festgelegt wurde, ist keine wirkliche Verpflichtung zur Verbesserung der Beschäftigungsverhältnisse.

(Beifall von Michele Marsching [PIRATEN])

Zweitens. Durch den Rahmenkodex für gute Beschäftigungsbedingungen wurde kein NRW-Standortvorteil für die Beschäftigten geschaffen, da es sich lediglich um eine Absichtserklärung handelt, die arbeitsrechtlich nicht durchsetzbar ist.

Drittens. Die Entscheidung im neuen Hochschulzukunftsgesetz, das Personal nicht in den Landesdienst zurückzuversetzen, war falsch

(Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

und stellt im Sinne des Grundsatzes der Verbesserung von Beschäftigungsbedingungen keine Weiterentwicklung dar.

(Beifall von den PIRATEN)

Mutlosigkeit zeigt sich auch an den viel zu späten Bemühungen, im Bereich der Digitalisierung an unserer Hochschullandschaft etwas zu tun.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Oh ja!)

Wir nehmen zwar wohlwollend zur Kenntnis, dass Sie mit Ihrem Änderungsantrag endlich dem Thema nähergekommen sind, allerdings ist NRW bei den Veröffentlichungen über Open Access immer noch weit im Hintertreffen.

So wurde in der Sachverständigenanhörung zu unserem Antrag sehr schnell klar: Ohne offene Ohren für das wichtige Thema Open Access steuert NRW direkt ins wissenschaftliche Abseits. Die Landesregierung muss umgehend die Informationsversorgung der Wissenschaft und Bevölkerung ausweiten, beschleunigen und sichern.

Die Landesregierung verpasst die Chance, auf den rollenden Open-Access-Zug aufzuspringen, der sich unter anderem in Dänemark, in Großbritannien und in der Schweiz bereits in voller Fahrt befindet.

(Beifall von Michele Marsching [PIRATEN])

Im innerdeutschen Vergleich steht Nordrhein-Westfalen bereits auf dem Abstellgleis. Die letzte Landesinitiative liegt über ein Jahrzehnt zurück.

Open Access entspricht dem Grundgedanken einer offenen und freien Wissensgesellschaft. Nur damit können wir garantieren, keine Fortbildungspotenziale zu verschenken. Die Zeit ist reif, die monopolartigen Verlagsstrukturen aufzubrechen.

Um rechtliche und technische Hürden abzubauen und das Angebot der digitalen Verfügbarkeit drastisch auszubauen, muss die Landesregierung Forschungsinformationssysteme fördern und Publikationsfonds aufbauen. Zudem ist eine bessere Vernetzung der Hochschulen notwendig. Passiert ist da reichlich wenig. Denn, wie gesagt, die Mutlosigkeit hat regiert.

Gleiches gilt im Übrigen für die Bezahlung des Praxissemesters. Dazu werden wir uns Anfang des Jahres die Praktiker ins Haus holen. Sie werden Ihre sogenannte Evaluation der Praxissemester an der Wirklichkeit spiegeln. Auch hierbei war die Landesregierung mutlos.

Alles in allem gibt es kein gutes Zeugnis für eine Landesregierung und kein gutes Signal für die Wissenschaftslandschaft in NRW. Wir hätten uns etwas Besseres gewünscht. Aber wir helfen auch gern weiter schieben. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Nun hat die Landesregierung das Wort. Es spricht die Ministerin, Frau Schulze.

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