Rezensionsbruchstück: Die Casting-Gesellschaft

Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universtät Tübingen, dessen Interviewband mit Heinz von Foerster „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners: Gespräche für Skeptiker“ eine Art Beststellerstatus genießt und Wolfgang Krischke, Journalist und Lehrbeauftragter, gaben jüngst einen Werkband heraus, der beeindruckende, tiefere und teilweise überraschende Blicke vor und hinter die Kulissen der im deutschen Fernsehen und anderswo laufenden Casting-Shows liefert: Die Casting-Gesellschaft – Die Sucht nach Aufmerksamkeit und das Tribunal der Medien.

Buchcover
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Im Rahmen eines Studienprojektes im Fach Journalismus werden Interviews mit Beteiligten, Machern und Kritikern von Casting-Shows präsentiert. Die studentischen Recherchen und Durchführungen der Interviews genügen besten journalistischen Ansprüchen.

Herausgegriffen werden soll hier nur das Interview mit dem Philosophen und Medienwissenschaftler Norbert Bolz, der sich in großer Klarheit auch zu politischen Talkshows äußert.
Natürlich, spätestens seit den Tagen von Christiane Sabinsen wissen wir, dass die Creme der politischen Talkshows eine TV-Beteiligungsdemokratie suggerieren soll. Themenbetroffene und -beteiligte dienen bestenfalls nur als Stichwortgeber für eine politische und intellektuelle „Kompetenz“-Prominentia und ihre Selbstdarstellungsplattform „Politische Talkshow“. Ernsthaft diskutiert wird woanders.
Dennoch, das Interview mit Norbert Bolz enthält eine Passage, die jesneits von Bohlen & Co auf die wirklichen Gefahren für Demokratie und Gesellschaft hinweist.

Auf die Frage „Können Sie ein Beispiel für ein solches Talkshow-Casting nennen?“ antwortet er:

Nehmen wir Anne Will. Da werden Sie beispielsweise im Vorfeld knallhart gefragt: „Stehen Sie zu der These, dass Hartz-IV-Empfänger asozial sind? ja oder nein? Wenn ja, laden wir Sie ein, wenn nein, suchen wir jemand anderen!“ Und dann wird diese These, die Sie vertreten sollen, auch in der Sendung unten eingeblendet, sobald Sie ins Bild kommen: „Hartz-IV-Empfänger sind alle asozial!“ Von diesem Satz kommen Sie danach kaum wieder los. Sie gelten von da ab als der Träger dieser Position. Wenn Sie versuchen, sich davon zu distanzieren, erreichen Sie nur, dass sie nicht wieder in eine Talkshow eingeladen werden. Talkshows werfen viel größere moralische Probleme auf als Casting-Shows, die ja so oft Gegenstand der Kritik sind. Die Produzenten und Moderatoren der Talkshows wollen nämlich in ihrer Sendung Politik nicht nur diskutieren, sondern sie wollen selbst Politik machen – und nicht nur Quote. Da hapert es wirklich mit der Demokratie, der Moral, dem politischen Anstand.

Dabei werden eben jene Protagonisten des Qualitätsjournalismus nicht müde, immer wieder auf Print und TV als professionelle mediale Informationsprodukte hinzuweisen und im Gegenzug WWW und Blogosphäre als amateurhaft und im Kern zu subjektivistisch abzutun.
Hat da jemand Angst?

Übrigens, der „Rest“ des Buches ist ebenfalls lesenswert.

Bis bald,
Nick H.

2 Gedanken zu „Rezensionsbruchstück: Die Casting-Gesellschaft

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