Zum Tag der Arbeit: Piraten übernehmen Verantwortung für unsere Demokratie

Offener Brief an Wolfgang Lieb und Byung-Chul Han

Sehr geehrter Herr Lieb, sehr geehrter Herr Han,

zwei längere Beiträge von Ihnen beiden nehme ich zum Anlaß, hier zu antworten, zunächst Wolfgang Lieb mit seinem Beitrag „Funktioniert Politik wie Wikipedia?„.
Und von Ihnen, Herr Han, erschien am 15. April 2012 ein Beitrag auf Welt online mit dem Titel „Piraten können keine Verantwortung übernehmen„.
Zunächst ein Kompliment, Ihr Büchlein „Schanzhai – Dekonstruktion auf Chinesisch“ habe ich mit  Begeisterung gelesen und Ihre Müdigkeitsgesellschaft liegt lesebereit auf meinem Schreibtisch, zusammen mit Werken von Alain Ehrenberg.

Insofern bin ich ein wenig enttäuscht, dass Ihr Beitrag für die Onlineseite der Welt hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt und das Thema Demokratie und Piratenpartei eher an der Oberfläche behandelt.

Wenn die Frage nach der Demokratie diskutiert werden soll, muss zunächst gefragt werden, was zu den Ermöglichungsbedingungen von Demokratie gehört. Meines Erachtens kann schnell Übereinstimmung darüber erzielt werden, dass unsere heutigen Demokratien wesentlich auf unserer Schriftkultur, auf der Kulturtechnik des Buchdrucks aufbauen, die in Europa im 15. Jahrhundert mit Gutenberg ihren Anfang nahm. Die moderne Republik, Nationalstaat und Verfassung sowie Vertragswerke und Staatenbünde wie die EU und die UNO sind ohne die Druckschriftkultur und ihre Möglichkeit der maschinellen Vervielfältigung auf Papier undenkbar.
Es gibt also eine deutliche Differenz zu der von Ihnen ins Feld geführten Stammeskultur, die sie als ähnlich zur digitalen Kommunikationskultur bezeichnen. Diese Diagnose muss jedoch zwangsläufig zu kurz greifen. Sie ist mangels weiterer Vergleichsmöglichkeiten eher aus der Not geboren.
Sinnvoller ist – bei allem Respekt – nach meinem Dafürhalten die Verpflichtung zu der Frage, was durch das weltumspannende elektromagnetische Kommunikationsfeld in Gestalt des Internet als technologische Ermöglichungsbedingung bereitgestellt ist, sowohl im Hinblick auf die Konstruktion weiterer darauf aufsetzender Kulturtechniken als auch für die Weiterentwicklung dessen, was wir heute Demokratie nennen – oder in Zukunft nennen wollen. Das liegt weit abseits jeglicher Heilslehren und bedeutet schlicht Arbeit.

Hier haben die Piraten bereits – und zwar weitestgehend allein – Verantwortung übernommen, erstens durch den Aufbau einer Bewegung und zweitens durch das Hineintragen dieser Fragestellungen in den politischen Raum.

Die Piratenpartei versteht sich – unter anderem – auch als ein Labor für die Politik von morgen. Sie leistet hiermit einen aktiven probierenden und konstruierenden Beitrag für unser Zusammenleben. In den anderen Parteien ist diese Entwicklung bislang deutlich verschlafen worden. Die reduzierte Nutzung von Internet und WWW durch die anderen Parteien als – überspitzt dargestellt – bloßes Verlautbarungsinstrument und in der Struktur eines wenige Sender/viele Empfänger-Verhältnisses spricht da leider eine klare Sprache.
Die politische Konfrontation mit den Piraten wird jedoch auch hier – da sind wir Piraten ganz zuversichtlich – über kurz oder lang vorzeigbare Ergebnisse zeitigen.

Felsenfest überzeugt bin ich davon, dass es eine Aufgabe piratiger Politik ist, in der Interaktion mit den anderen politischen Kräften gemeinsam neue Möglichkeitsräume zu eröffnen.
Ohne Zweifel sind die Piraten auch „der Aufstand der technischen Intelligenz“ (Schirrmacher), zu der sich aktuell und täglich weitere Kompetenzen, etwa aus den sozialen Berufen, gesellen.

Es ist bereits erwiesen, dass die Lösung komplizierter technischer Fragestellungen ohne weitgehende – statische – Hierarchien durch kleine und größere Gruppen von Konstrukteuren über das Netz möglich ist. Der weltweite Erfolg vieler Open-Source Software-Projekte belegt das eindrucksvoll. Daraus kann und muss nun die Frage abgeleitet werden, ob derartige Verfahren auch für die Inangriffnahme politischer Fragestellungen geeignet sind.
Zum Entscheidungsverhalten in nicht-hierarchisch organisierten Kleingruppen gibt es bereits vielversprechende Ergebnisse [1,2,3]. Und die mikrosoziologische  Arbeit von Mark Granovetter – The Strength of Weak Ties – leistete einen weiteren Beitrag, der das Kommunikationsverhalten von größeren Gruppen in den Blick nimmt. Die politische Organisationskraft dieser schwachen Bindungen wurde jüngst in den arabischen Ländern unter Beweis gestellt.

Darüber hinaus zählt die Piratenpartei viele Ingenieure, Naturwissenschaftler und Informatiker in ihren Reihen, Menschen, die neben der Erfahrung des über das Internet miteinander-vernetzt-Seins in ihren Berufen tagtäglich die Endlichkeit von Mengen erfahren können.

Wie sagte Marcel-André Casasola-Merkle aka @zeitweise in seiner Keynote zum für alle Interessierten offenen Piraten-Denktank, zur Open Mind Konferenz 2011 in Kassel; „Wir sind Forscher, keine Dogmatiker.“

Warum also an den neoliberalen Dogmen des Wachstums und der Arbeit festhalten, als gäbe es keine Alternativen? Warum sich zum Knecht eines Wirtschaftssystems machen, das seine eigenen Voraussetzungen längst überlebt hat?

Die materiellen Ressourcen unseres Planeten sind endlich, in jeder Hinsicht, der einzige und kontinuierliche Import von Außen besteht in Sonnenenergie.
Dieser Umstand schreit schon jetzt nach einer Wirtschaft der Nachhaltigkeit, des Recyclings und des Ressourcen-Managements. Aus diesem Grund hat die Piratenpartei Nachhaltigkeit als wesentlichen Aspekt in ihr Grundsatzprogramm übernommen.

Bislang aber ist z.B. Energie – ebenso wie jeder Rohstoff – in jeder bislang existierenden Wirtschaftstheorie, und das nicht nur in neoliberalen Wirtschaftsmodellen und -Theorien, eine beliebig kapitalisierbare Größe, d.h. ich kann – im Modell – immer einen Preis angeben, und sei er noch so hoch, für den ich Energie oder einen Rohstoff erhalten, einfach kaufen kann. Diese Modelle gehen von im Prinzip unbegrenzten Ressourcen aus. Das entspricht jedoch nicht den physikalischen Realitäten des Planeten.

Aktuell haben wir die Situation, dass die Produktivität nicht nur in Deutschland, sondern weltweit steigt, d.h. es werden immer mehr Güter mit immer weniger Arbeit produziert. Hierdurch ergibt sich nicht nur ein Rückgang der absolut vorhandenen Arbeitsmenge, sondern auch die insgesamt dadurch erwirtschaftete Kaufkraft für eben jene Produkte sinkt.
Folgt man Günther Dueck, dann wird in Kürze auch der dritte Sektor der Dienstleistungen davon erreicht werden, da immer mehr Dienstleistungen von immer weniger Leuten automatisiert oder halbautomatisiert über das Internet angeboten werden.[4]
Dies wirkt sich ebenfalls negativ auf das Gesamtwachstum aus, beschleunigt diese Entwicklung sogar noch.
Die vom Kapitalismus in seinem Endstadium massenweise abgebaute »Arbeit« aber sollte endlich als das begriffen werden was sie ist, nämlich als eine gesellschaftliche Konstruktion.

Ein Ziel müsste es also sein, ein System der Nachhaltigkeit zu etablieren, dass vom rein quantitativen Wachstum Abschied nimmt und stattdessen qualitative Wachstumsmöglichkeiten in den Blick nimmt.

Der in den gängigen ökonomischen Modellen angenommene konsumierende Autist, der Homo oeconomicus, für den gilt, dass ein Mehr, eine Steigerung des Konsums immer und allezeit anzustreben ist und prinzipiell gut ist, ist als Modellgrundlage somit hinfällig.

Das Konzept ist mehrere hundert Jahre alt und stammt aus der Frühzeit von Kapitalismus und Industrialisierung, in der konsequent von expandierenden Märkten ausgegangen wurde. Es blendet einen wesentlichen Teil menschlicher Tätigkeiten und Interessen völlig aus und führte in der Entwicklung des Kapitalismus zu einer Vereinseitigung des vorherrschenden Menschenbildes, an genau dem wir eben heute so zu knabbern haben. Alles, selbst Bildung und das Gesundheitswesen, Kindergärten, die Altenpflege, etc. werden durch dieses Bild in einen rein pekuniären Effizienzmodus hineingezwungen, der den Realitäten in keiner Weise gerecht wird. (Gerade Deutschland bietet hier für eine Alternative durch seine ausgeprägte Kultur des Ehrenamtes, die einen erheblichen Anteil an gesamtgesellschaftlicher Wertschöpfung hat, nahezu ideale Voraussetzungen.)
Es ist einerseits die sinkende Kaufkraft der Massen und andererseits die Konzentration von Investivkapital in den Händen einer begrenzten Gruppe der Wohlhabenden, die in die Krise der Überschuldung führen. Das Modell funktioniert schlicht nicht mehr, da permanent von einem eben sehr einseitigen Begriff des Wachstums ausgegangen wird.

Diese wirtschaftlich-gesellschaftliche Konfiguration hat genau die beiden großen, sich einander gegenüberstehenden Ideologien des 19. Jahrhunderts hervorgebracht, den Kapitalismus mit der persönlichen Rendite als Ziel und den Kommunismus als Prinzip der Gleichschaltung unter dem Diktat eines Staatsmonopolkapitalismus sowie in Folge das eindimensionale Links-Rechts-Schema der politischen Orientierung. Beide Modelle haben den Homo oeconomicus als Grundlage.

Ein angemessenes bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) stellt sich damit sowohl als antikapitalistisch als auch als antikommunistisch dar, da es über die basale Sicherung der wirtschaftlichen Existenz Produktivkapital in die Hände aller Marktteilnehmer verteilt und nicht auf Arbeitgeberseite – Kapitalismus – oder Staatsseite – Kommunismus – konzentriert.
Die Piratenpartei Deutschland hat auf ihrem Bundesparteitag in Offenbach 2011 beschlossen, sich dafür einzusetzen, die Modelle zum BGE von einer Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages untersuchen zu lassen.

Der französische Philosoph André Gorz drückt es folgendermaßen aus:

„Die „Arbeit“ stellt, auf Grund der mit ihr einhergehenden Standardisierung von Fähigkeiten, Verfahrensweisen und Bedürfnissen, ein wichtiges Sozialisierungs-, Normalisierungs- und Standardisierungsinstrument dar, das Erfindergeist, Phantasie und individuelle oder kollektive Selbstbestimmung neuer Normen, Bedürfnisse und Fähigkeiten unterdrückt und einschränkt. Deshalb mußte die gesellschaftliche Anerkennung von neuen Aktivitäten und Kompetenzen, die neuen Bedürfnissen entsprechen, stets in gesellschaftlichen Konflikten durchgesetzt werden. Dabei ging es immer, zumindest implizit, auch ums Politische: Die Verfügungsmacht der Gesellschaft (ihrer Institutionen, Berufsorganisationen, Gesetze und Vorschriften) über die gesellschaftlichen Akteure mußte zugunsten von deren Verfügungsmacht über die Gesellschaft zurückgedrängt werden.“

Lasst uns beginnen, gemeinsam über Zukunft aktiv nachzudenken auf eine Art und Weise, die auch die Feuilletons mit in die gesellschaftliche Gesamtverantwortung hinein nimmt.

Mit herzlichen Grüßen, Ihr
Nick H. aka Joachim Paul

Quellen:

[1] Alex Bavelas, Communication Patterns in Task Oriented Groups, in: The Policy Sciences, eds.: Daniel Lerner & Harold D. Lasswell, Stanford University Press, 1951, p.193-202.
[2] Alex Bavelas, Communication Patterns in Problem-Solving Groups, in: Cybernetics, ed.: Heinz von Foerster, Josiah Macy Jr. Foundation, New York 1952
[3] Harold J. Leavitt, Some Effects of Certain Communication Partners on Group Performance, Journal of Abnormal and Social Psychology, 46, p. 38-50, 1951
[4] Gunter Dueck, Aufbrechen!, Frankfurt a. M. 2010,  S. 31ff
[5] André Gorz, Arbeit zwischen Misere und Utopie, Frankfurt a. M. 2000, S. 12

 

 

33 Gedanken zu „Zum Tag der Arbeit: Piraten übernehmen Verantwortung für unsere Demokratie

  • 15. Mai 2012 um 14:22 Uhr
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    Moin Herr Paul,

    Sie schreiben:

    > Ein angemessenes bedingungsloses Grundeinkommen (BGE)
    > stellt sich damit sowohl als antikapitalistisch als auch als
    > antikommunistisch dar, da es über die basale Sicherung der
    > wirtschaftlichen Existenz Produktivkapital in die Hände aller
    > Marktteilnehmer verteilt und nicht auf Arbeitgeberseite –
    > Kapitalismus – oder Staatsseite – Kommunismus – konzentriert.

    Ob das BGE in seiner von verschiedenen Seiten diskutierten Höhe (zwischen 600 – 1000 EUR) tatsächlich als „Kapital“ betrachtet werden kann? Kapital ist, was ich übrig habe und investieren kann. Das BGE reicht gerade mal zum Reproduzieren der eigenen Arbeitskraft, über die ich – und das war die Idee der linken und post-materialistischen BGE-Befürworter – frei von Existenzzwängen selbst entscheiden kann. Das heißt, ich kann mich irgendwo verdingen, um Kapital zusammen zu sparen, das ich dann z.B. in eine Genossenschaft einbringe; ich kann aber auch philosophische Abhandlungen schreiben, die mir keine materiellen Vorteile bringen, aber der nächsten Generation vielleicht interessanten Blog-Diskussionsstoff.

    Die Idee der Wirtschaftsliberalen hinsichtlich des BGE, von z.B. Milton Friedman propagiert als „Negativsteuer“, war eine grundsätzlich andere. Sie wollten Arbeit endlich als Ware in ihren Modellen betrachten können; ebenso wie Kartoffeln, d.h., der Preis für Arbeit müsse im Falle des Überangebots beliebig gesenkt werden können. Im übrigen spare man die Transferkosten (Sozialämter etc.) und sorge dafür, dass die mehrwertschaffenden Eliten ungestört wirtschaften könnten. Erwägungen hinsichtlich Alternativen zur Arbeits- und Konsumgesellschaft kamen bei ihnen nicht vor.

    Wenn Sie schreiben, durch das BGE nähme die Tendenz zur Kapitalkonzentration in privater oder staatlicher Hand ab, dann ignorieren Sie die Wirtschaftlichkeitsberechnungen, die von BGE-Befürwortern wie z.B. Götz Werner und Adrienne Goehler stammen. Danach nehmen Unternehmensrenditen relativ zur Summe aus Gehältern/Löhnen und Transferleistungen zumindest gegenüber dem Ist-Zustand nicht ab. Die Konzentration an der Spitze der Vermögenspyramide ginge also weiter.

  • 15. Mai 2012 um 00:07 Uhr
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    Yohoho Jochen,

    ehrlich gesagt versteigst du dich mit deinen Aussagen zum Homo Oeconomicus und Wachstum enorm. Schade, denn es gibt tatsächlich einen direkten Bezug zwischen einem – wenn nicht dem – zentralen Punkt der Piraten, der Rolle des Internet als einer technologischen Vorbedingung weltweiter nicht-einseitiger Kommunikation, und eines konstituierenden Moments der klassischen Wirtschaftstheorien – der vollständigen Information. Überspitzt könnte man sagen: „Kapitalismus“ wie „Kommunismus“ haben – ob schlecht oder recht, sei erst einmal dahingestellt – funktioniert, obwohl ihr vermeintliches theoretisches Modell ein eindeutig falsches war. Jetzt, da sich die Realität aufgrund technologischer Entwicklungen dem Modell annähert, beginnt diese Wirtschaftssysteme zu versagen. Hegel hätte das als „List der Vernunft“ bezeichnet.

    Grüsse

    J. Stender

  • 14. Mai 2012 um 11:19 Uhr
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    Zitat Eberhard von Goldammer:“es ist aber nichts anderes als sich das Recht auf verantwortungsloses Herumlabern oder Herumpöbeln herauszunehmen. – Ich meine damit gar nicht unbedingt Sie als Person – ich kenne Sie ja gar nicht(!) –, sondern stelle das hier nur ganz allgemein fest – vielleicht genügt da ja einmal ein Blick in die Mailing-Listen der Piraten, um zu verstehen, was ich meine. “
    Sie wollen sagen, dass Anonymität natürlich die Zurückhaltung des Senders herabsetzt, betrachten aber nur eine Seite dieser Medaille, nämlich dass natürlich auch leichter gepöbelt und beleidigt wird, dies ist natürlich ein Unding und sollte unter Menschen nicht nötig sein. Allerdings ignorieren Sie leider die zweite Seite der gleichen Medaille meiner Meinung nach: Die geringere Zurückhaltung führt eben auch zu mehreren durchaus positiven Dingen, nämlich Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und eventuell zu dem Mut mich überhaupt zu äußern.

    Wie schon das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat sind Überwachungsmaßnahmen schon alleine deshalb kritisch zu betrachten, weil Sie die sog. „Schere im Kopf“ aktivieren. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Überwachung von Verhalten schon Verhalten verändert.

    Die geringste Form der Überwachung mag hierbei die persönliche Identifizierbarkeit sein.

    Da der Mensch ein soziales Wesen ist, ist er auf die positive Meinung unterschiedlichster Peer-Groups angewiesen, über dieses Faktum kann man nicht einfach hinweggehen in dem man sagt, dass jeder zu seinem Wort stehen sollte.

    Sicherlich, in einer idealen Welt wäre dies der Fall, in einer idealen Welt, würde aber auch jede Meinung insoweit respektiert werden, als das der Äußerer dieser Meinung nicht für seine Meinung angegangen wird.

    Das dies nicht der Fall ist, kann man z.B. ebenfalls in der Piratenpartei sehen. Offensichtlich führt nicht einmal die Bekanntheit des Realnamens dazu von Agitation gegen andere Menschen abzusehen, wenn mir nur seine Meinung extrem genug erscheint.

    Da wir also in keiner perfekten Welt leben, weder in Deutschland, noch der Schweiz, ist anonymer politischer Diskurs von Nöten.

    Um eventuell doch einmal konkret zu werden:
    Der Fall Wikileaks im Zusammenspiel mit Bradley Manning.
    Dieser arme Mensch sitzt wegen angeblichen Landesverrats im Gefängnis und sicherlich niemand hier möchte mit ihm tauschen und all das nur weil seine Anonymität eben nicht gewahrt wurde, wenn er denn überhaupt „schuldig“ im Sinne der Anklage ist, und das in einer Demokratie wie den USA, welche im Bereich Whistleblowing eigentlich meilenweit vor Deutschland liegen, weil es dort immerhin gesetzlich protektiert wird (außer Kriegsverbrechen gelangen ans Tageslicht, so scheint es).

    Nunja, die Kommentarfunktion hier ist sicherlich leider nicht der richtige Ort um dieses hochinteressante Thema weiter zu vertiefen.

    Ich denke auch Sie sind gar nicht grundsätzlich anderer Auffassung, sondern das Sie einfach mehr Wert auf eine gute Diskussion legen, als darauf, dass überhaupt eine Diskussion beginnt, und sei es, dass Sie mit einer Pöbelei beginnt.

  • 13. Mai 2012 um 12:35 Uhr
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    Nun habe ich alle Beiträge gelesen und kann nur sagen, dass die Piraten gute Ansätze haben, die sich lohnen, in die derzeitige Politik getragen zu werden.
    Zu verkrustet, zu selbstherrlich und zu diktatorisch beherrschen die alten Parteien das gesellschaftliche Denken.
    So bin ich immer wieder überrascht zu sehen, wie viele Menschen sich z.B. auf die Sparzwangspolitik und Fiskalpakt der deutschen Regierung einlassen und das wünschen !
    Wie können Demokraten solches zulassen, mittragen und immer noch über „die faulen Griechen“ schimpfen ?

    Gleiches sehe ich an der Meinungsfreiheit.
    Natürlich kann ich meine Meinung in jedem Forum schreiben – passt sie nicht ins Bild des Blattes, wird sie gar nicht veröffentlicht.

    Wird sie doch veröffentlicht und mit Klarnamen versehen, muss jede/r mit Konsequenzen rechnen von denen, die diese Meinung nicht vertreten.

    Zwei Beispiele, wovon eines hier schon angesprochen wurde. Der Schutz der eigenen Person gegenüber Arbeitgebern.

    So ist kürzlich ein Altenpfleger von seinem Arbeitgeber entlassen worden, weil dieser sich abfällig über die Einrichtung/Organisation geäußert haben soll. Vor dem Arbeitsgericht bekam der Arbeitgeber Recht.

    Insofern sind anonyme Einträge sinnvoll und richtig und Toleranz wäre angebrachter, als die Hinweise wie „Farbe bekennen“ oder so ein wirklich abwegiges Beispiel was ich hier irgendwo las, mit der Burka. Ähnliche Argumente sind auch immer von Herrn Friedrich zu hören.

    Dass die Demokratie seit Jahren in Gefahr ist, kann auf den Nachdenkseiten gelesen werden.

    Vielleicht ist sie auch gar nicht mehr in Gefahr sondern längstens im postdemokratischen Zeitalter angekommen und wir haben es nicht gemerkt. Denn das, was sich derzeit abspielt mit der Medienkonzentration auf einige Medienkonzerne, die die Meinung vorgeben und dann über Kampagnenjournalistmus Stimmung und Politik machen, ist erschreckend und geht fließend in Diktatur über.

    Es geht, wie Crouch in Postdemokratie beschrieben hat, nicht mehr um Information und Diskussion, sondern um plakative Mehrheiten. Politik orientiert sich an Schlagzeilen wie in der Werbung, die daran interessiert ist, dass das Produkt/Partei von möglichst vielen gekauft/gewählt wird.

    Möglicherweise ist auch die Piratenpartei ein Produkt der Postdemokratie. Erst einmal ohne viel Inhalt aber mit viel Werbung die bei vielen gut ankommt.

    Bedauerlich dabei finde ich, was auch wieder auf die Diktatur der Medien und den Verlust der Demokratie hinweist, dass die Die Linke mittlerweile überhaupt nicht mehr erwähnt und totgeschwiegen wird. Sie scheint für die Etablierten gefährlicher zu sein als die Piraten, die noch als „Spinner“ gesehen werden.

  • 12. Mai 2012 um 20:38 Uhr
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    @ SvenK

    SvenK schreibt: „Würden Sie sagen, dass jeder Mensch das Recht auf freie Meinungsäußerung hat?
    Falls Sie dies bejahen können, kann ich nicht verstehen, weshalb Sie Argumente (zumindest im Politischen) an eineindeutig identifizierbare Personen binden möchten?“
    *
    Sie haben in der Bundesrepublik Deutschland, die sich als eine Demokratie versteht, das Recht der freien Meinungsäußerung. Sie haben aber nicht nur Rechte sondern auch (staatsbürgerliche) Verantwortung und Pflichten; – ihr Pochen auf generelle Anonymität – auch was gesellschaftspolitische Angelegenheiten anbelangt – wird ihnen aufgrund der zugesicherten freien Meinungsäußerung in der BRD niemand verbieten; – es ist aber nichts anderes als sich das Recht auf verantwortungsloses Herumlabern oder Herumpöbeln herauszunehmen. – Ich meine damit gar nicht unbedingt Sie als Person – ich kenne Sie ja gar nicht(!) –, sondern stelle das hier nur ganz allgemein fest – vielleicht genügt da ja einmal ein Blick in die Mailing-Listen der Piraten, um zu verstehen, was ich meine.

    Eine Demokratie lebt vom kritisch-konstruktiven Diskurs. Sehen Sie sich dazu einmal als positives Beispiel die Nachdenkseiten (www.nachdenkseiten.de) an. Die Autoren treten dort auch nicht mit der Maske auf, würden sie das tun, dann wären ihre Beiträge alles andere als vertrauenswürdig – verantwortliches Handeln ist eine notwendige Voraussetzung für das Vertrauen in eine Sache bzw. eine Person, die sich über einen Sachverhalt kritisch in der demokratischen Öffentlichkeit äußert. –
    Übrigens: Tragen Sie eigentlich auch ein Burka, wenn Sie in die Öffentlichkeit gehen? Das wäre ja nur konsequent! — 

    Auf http://demokratie.geschichte-schweiz.ch/index.html können Sie in einer Kurzfassung etwas über die Grundelemente der Demokratie nachlesen (auch bei Wikipedia allerdings viel ausführlicher). Natürlich haben wir noch keine ideale Demokratie – die gibt es heutzutage nirgends auf der Welt. Aber die Grundelemente, wie sie in dem Beitrag „Demokratie-Geschichte-Schweiz“ aufgelistet sind – vor allen Dingen die Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit, um die es in der vorliegenden Diskussion geht –, sind in der BRD – im Gegensatz zur ehemaligen DDR – weitestgehend erfüllt. Das kann kaum jemand bestreiten, auch wenn Nachrichten manchmal gefiltert werden und wir mit einer Boulevard-Presse à la BILD leben müssen, die man aber niemand lesen muss. Damit will ich nur sagen, dass sie vom Standpunkt der demokratischen Grundelemente (siehe URL oben) keinen Anlass haben, sich mit gesellschaftspolitischen Äußerungen in der Öffentlichkeit zu maskieren – ihre Haltung dazu ist in meinen Augen kindisch, um nicht zu sagen spätpubertär. Für eine politische Partei finde ich das ausgesprochen dumm, denn sie werden eines Tages dafür die Quittung erhalten – Protestpartei allein ist noch kein Konzept. Man möchte irgendwann schon wissen, wer, was, wann und wo gesagt oder geschrieben hat und wie er dazu steht – das ist die Grundlage einer jeden Demokratie.
    *
    Und wenn Sie meinen Beitrag vom 10.05.12 habe ich ganz bewusst darauf hingewiesen, dass „man das Problem „Anonymität/nicht-Anonymität“ und/oder „Transparenz/nicht-Transparenz“ nicht zu einer generellen „Entweder-Oder-Frage“ machen reduzieren und damit nur von einem Standpunkt aus thematisieren – kann“. Das gilt auch für den Begriff „Demokratie“ – das möchte ich jetzt aber nicht weiter ausführen, weil das alles viel zu weit weg führt.

  • 12. Mai 2012 um 09:59 Uhr
    Permalink

    Sehr geehrter Herr von Goldammer,

    ich habe eine wirkliche Frage an Sie:

    Kennen Sie Artikel 5 des Grundgesetzes, oder allgemeiner:
    Würden Sie sagen das jeder Mensch das Recht auf freie Meinungsäußerung hat?

    Falls Sie dies bejahen können, kann ich nicht verstehen, weshalb Sie Argumente (zumindest im politischen) an eineindeutig identifizierbare Personen binden möchten?

    Ich kann Ihre Kritik an der heutigen verbreiteten Binärlogik im Hinblick auf „Wissen“ einiges abgewinnen.

    Bedenken Sie aber: Nur weil es auch nicht eindeutig entscheidbare Fragen , für die es eben keine faktenbasierte eineindeutige „Lösung“ gibt, und es für diese Fragen hilfreich wäre zu wissen wer da die Antwort gibt, heißt das nicht:
    Erstens: Das es keine eineindeutigen Fakten gibt (Zumindest wenn man sich im anerkannten Rahmen wissenschaftsbasierter Nachvollziehbarkeit und Evidenz bewegt), d.h. es gibt _immer_ einen common sense der allgemein als „wahr“ und somit als „Wissen“ angesehen wird.
    Zweitens:Das Äußerungen über Fragen für die es keine Antworten als common sense gibt, zwangsläufig nicht-anonym getätigt werden müssten.

    Oder schlicht pragmatisch: Wenn Sie keine umfassenden Kontrollstrukturen aufbauen wollen und demzufolge nicht verhindern können, dass sich jemand anonym äußert, dann sollten Sie auch diese Äußerungen akzeptieren können.

    Noch ein Kommentar zu Ihrer Äußerung, Zitat:“Ihre Argumentation, dass in demokratischen Staaten politische Gefangene unter dem Vorwand krimineller Vergehen gemacht werden ist aus logischer Sicht eine Contradictio in adjecto. Was haben Sie eigentlich für ein Demokratie-Verständnis?“
    Hier haben wir ein schönes Beispiel dafür, dass es offenbar keinen common sense gibt, was „Demokratie“ eigentlich bedeutet, denn sonst hätten Sie beide ja die gleiche Auffassung von Demokratie 😉
    Einen Widerspruch in sich kann ich übrigens nicht erkennen, die Liste der aus politischen Gründen Inhaftierten in durch demokratisch legitimierten Regierungen geführten Staaten ist lang.
    Falls Sie wirklich keine kennen sollten nenne ich Ihnen gerne einige.
    PS:
    Meinen vollen Namen nenne ich Ihnen gerne persönlich, oder per E-Mail.

    In der Hoffnung das es trotz nicht vollständigem Klarnamen gelesen wird.

    PPS: Um ein Argument von oben aufzugreifen: Wer sagt mir denn, dass Sie sind, wer Sie zu sein scheinen?
    Sie können gar nicht beweisen (jedenfalls nicht hier, im virtuellen Raum), dass Sie sind wer Sie sind. Ich glaube Ihnen trotzdem das Sie’s sind und um auf Sie einzugehen benötige ich nicht Ihren Namen, für mich ist es das Argument und die Begründung desselben, welche zählt, aber das ist nur meine persönliche Vorliebe.

    SvenK
    Pirat

  • 11. Mai 2012 um 15:18 Uhr
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    @Der Souverän

    Manchmal verraten auch Decknamen etwas über die Person, die sich damit zu maskieren glaubt. In diesem Fall hält sich da einer für mehr als er ist, nach dem Motto: Mehr Schein als Sein.

    Hätten Sie wenigstens den Wikipedia-Eintrag zum Thema „Wissen“ einmal durchgelesen oder in einem Wörterbuch/Lexikon der Philosophie nachgeschlagen, dann hätten Sie vielleicht bemerkt, auf welchem Niveau Sie argumentieren – Niveau Mäuse-A…..

    Das mit dem Niveau gilt auch für Ihren Einwand zum Thema „Anonymität“: Ihre Argumentation, dass in demokratischen Staaten politische Gefangene unter dem Vorwand krimineller Vergehen gemacht werden ist aus logischer Sicht eine Contradictio in adjecto. Was haben Sie eigentlich für ein Demokratie-Verständnis?

  • 11. Mai 2012 um 13:56 Uhr
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    Hallo Herr Paul,

    ob man die Frage nach der Demokratie über technische Möglichkeiten diskutiert (Buchdruck mit beweglichen Lettern), hängt wohl von der Sichtweise ab, eine enge übrigens, wie ich finde.

    Unhistorisch ist es allemal.

    Blendet es erstens die Schriftkulturen aus http://de.wikipedia.org/wiki/Schriftkultur sowie die bereits dafür notwendige Entwicklung, nämlich grafischer Zeichen und dauerhafte Träger (z.B. Papier seit 2000 Jahren). Zweitens, die Zunahme der Bevölkerung und die Bildung von Städten, die erst eine Verwaltung notwendig machten. Drittens, der wichtigste Punkt, die Idee von Natur- und Menschenrechten. http://de.wikipedia.org/wiki/Demokratie#Wesentliche_Merkmale_der_Demokratie .

    Wer sich auf die gegenwärtigen technischen Möglichkeiten der Kommunikation kapriziert, muss auch die Frage nach deren Konstruktion, Verfüg- und Beherrschbarkeit stellen. Das wird von den Piraten und auch von Ihnen nicht geleistet. Da war und ist der Pädagoge Hartmut von Hentig mit seinem 2002 erschienenen Buch: Der technischen Zivilisation gewachsen bleiben den Piraten und auch Ihnen um einiges voraus.

    Wenn Sie anderen Parteien vorwerfen, technische Entwicklungen und deren Möglichkeiten verschlafen zu haben, dann spricht daraus die herablassende Blasiertheit eingebildeter technischer Eliten, die allenfalls technisch versierte Nutzer von zur Verfügung gestellten Mitteln (Hardware + Software) sind, aber nicht deren originäre Entwickler, denn das waren andere.

    Typisch für die eingebildeten technischen Eliten ist auch deren Unvermögen, ihr rudimentäres Wissen angemessen weiterzugeben, weil sie ja dadurch ihren selbstgeschaffenen Nimbus verlören. Wenn man aus dem Wortgeklingel die Luft raus läßt, bleibt nicht viel übrig.

    Bisher ist ein großer Teil der Hardware- und Softwareentwicklungen ein Reparaturdauerbetrieb, von dem die sogenannten Entwickler recht auskömmlich leben und deren Nutzen sich in Grenzen hält.

    Die wirklich für die Menschen wichtige Entwicklung von Produkten findet in physikalischen, chemischen, biologischen und technischen Laboren und in der Produktion von physischen Gütern aller Art statt.

    Wer von der Herstellung dieser Güter ausgeschlossen ist, verliert auch die Möglichkeiten der Menschwerdung über die Arbeit. Dabei geht es um ein konkretes Wechselwirken der Menschen mit der physischen Umwelt und den daraus zu ziehenden Erkenntnissen, Erfahrungen und praktisch zu erwerbenden Fähigkeiten. Das ist nämlich ganz unideologisch die Funktion von Arbeit, neben der Erhaltung des eigenen Lebens.

    Aus meiner Sicht bieten die Piraten außer Allgemeinplätzen und konfusen unausgegorenen Ideenmischungen nichts. Sie übernehmen auch keine Verantwortung für unsere Demokratie.

    Die Piraten machen mit unserer Demokratie genau das, was aus ihren Softwareentwicklungen zu erkennen ist, einen Reparaturdauerbetrieb. Die Demokratie möchte ich nicht irgendwelchen Spieleentwicklern wie Marcel-André Casasola-Merkle und anderen überlassen.

  • 10. Mai 2012 um 23:08 Uhr
    Permalink

    @Eberhard von Goldammer

    Sie sagen:
    „Paradoxerweise können daher als Wissen deklarierte Sachverhaltsbeschreibungen wahr oder falsch, vollständig oder unvollständig sein.“

    Seit der Mensch gelernt hat auch unbedingte Begriffe zu atomisieren, also unkenntlich zu machen, bleibt nichts greifbares mehr.

    Wahrheit und Wissen sind unbedingt. Wir haben etliche Begriffe um Unklarheit auszudrücken, selbst unter Verwendung des absolut klaren – ich glaube/meine zu wissen.

    Wissen und Wahrheit aber sind unbedingt. Ich weiß das ich 4 Finger und einen Daumen an meiner rechten Hand habe – das ist Wahr-heit.
    Wissen und Wahrheit sind untrennbar verbunden und unbedingt.
    Atomisierung, Begriffe künstlich unkenntlich, unbestimmt zu machen, dient meist nur der (persönlichen) Vorteilnahme.

  • 10. Mai 2012 um 23:06 Uhr
    Permalink

    @Eberhard von Goldammer

    Wenn man für alle Diskussionen – also auch politische Stellungnahmen – einen Decknamen benutzt, dann kann man die anonym gemachten Argumente einfach nicht ernst nehmen; d.h. wenn ich – aus welchen Gründen auch immer – Frau Merkels Politik kritisiere, dann tue ich das unter meinem vollen Namen. Können Sie mir einen politisch-konstruktiven Grund nennen, warum man das anonym machen sollte?

    Interessante These – zum Glück unhaltbar. Die Netz-Anonymität ändert überhaupt nichts an der Meinung, an der (politischen) Einstellung, an dem Geschriebenen des Anonymus. Im Gegentum. Gerade die Anonymität lädt dazu ein seine wahren Gedanken niederzuschreiben, da man vor Repressalien relativ geschützt ist.

    Auch heute noch werden selbst in demokratischen Staaten politische Gefangene gemacht, wenn auch freilich unter dem Deckmäntelchen der Kriminalität.

    Bei Weitem nicht nur aus diesem Grunde stellt Anonymität den unbedingt notwendigen Schutz des Anonymus sicher. Wer Klardaten fordert, tut dies nicht zum Segen der anonymen Personen, sondern immer zu deren Nachteil, bis hin zur extremen Schädigung.

  • 10. Mai 2012 um 19:25 Uhr
    Permalink

    Von Kommunismus haben Sie nun wirklich nicht die geringste Ahnung, wenn Sie ihn an den Staat binden.
    Ansonsten gibt es in diesem Brief einige nette, mit intellektuellen Blabla verschwurbelte Ideen.
    Ihr habt ein neues Spielzeug gefunden: Politik. Schaun wir mal was wir damit alles anstellen können. Die Basis ist euer Fetisch. Und wenn das Spielen keine Spaß mehr macht, werdet ihr euch wieder schnell verpissen.

  • 10. Mai 2012 um 17:00 Uhr
    Permalink

    @Eberhard von Goldammer

    Wenn man für alle Diskussionen – also auch politische Stellungnahmen – einen Decknamen benutzt, dann kann man die anonym gemachten Argumente einfach nicht ernst nehmen; d.h. wenn ich – aus welchen Gründen auch immer – Frau Merkels Politik kritisiere, dann tue ich das unter meinem vollen Namen. Können Sie mir einen politisch-konstruktiven Grund nennen, warum man das anonym machen sollte?

    Interessante These – zum Glück unhaltbar. Die Netz-Anonymität ändert überhaupt nichts an der Meinung, an der (politischen) Einstellung, an dem Geschriebenen des Anonymus. Im Gegentum. Gerade die garantierte Anonymität ist der Garant das der Mensch seine Gedanken ehrlich und frei äußert.

    Auch heute noch werden selbst in demokratischen Staaten politische Gefangene gemacht, wenn auch freilich unter dem Deckmäntelchen der Kriminalität.

    Bei Weitem nicht nur aus diesm Grunde stellt Anonymität den unbedingt notwendigen Schutz des Anonymus sicher. Wer Klardaten fordert, tut dies nicht zum Segen der anonymen Personen, sondern immer zu deren Nachteil, bis hin zur extremen Schädigung.

  • 10. Mai 2012 um 16:54 Uhr
    Permalink

    @Eberhard von Goldammer

    Paradoxerweise können daher als Wissen deklarierte Sachverhaltsbeschreibungen wahr oder falsch, vollständig oder unvollständig sein. […]“

    Seit der Mensch gelernt hat auch unbedingte Begriffe zu atomisieren, also unkenntlich zu machen, bleibt nichts greifbares mehr.

    Wahrheit und Wissen sind unbedingt. Wir haben etliche Begriffe um Unklarheit auszudrücken, selbst unter Verwendung des absolut klaren – ich glaube/meine zu wissen.

    Wissen und Wahrheit aber sind unbedingt. Ich weiß das ich 4 Finger und einen Daumen an meiner rechten Hand habe – das ist Wahr-heit.
    Wissen und Wahrheit sind untrennbar verbunden und unbedingt.
    Atomisierung, Begriffe künstlich unkenntlich, unbestimmt zu machen, dient meist nur der (persönlichen) Vorteilnahme.

  • 10. Mai 2012 um 16:29 Uhr
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    Lieber Nick aka Joachim!

    Du bist offensichtlich, wie auch viele Piraten, ein Kind deiner Zeit.
    Wenn jemand „den Kommunismus als Prinzip der Gleichschaltung unter dem Diktat eines Staatsmonopolkapitalismus“ bezeichnet und den homo oeconomicus als Teil des sozialistischen Menschenbildes sieht, hat dieser jemand einiges nicht verstanden.
    Dazu muss man wissen was den Kapitalismus in seinem Kern ausmacht, eine Eigenschaft, die immer gleichbleibt und gleichbleiben muss, da eine Veränderung dieser Eigenschaft die kapitalistische Produktionsweise „aufsprengt“ und somit abschafft.
    Wie du bereits richtig angemerkt hast, ist unsere heutige Produktionsweise einseitig auf persönliche Profite ausgerichtet. Dies ist aber nicht dem „Neoliberalismus“ geschuldet, wie immer wieder mystifizierend behauptet wird, sondern wie man so schön sagt, systemimmanent.
    Wie es ist also nun möglich, dass sich einseitig Profite, also Gewinn, aber auch Zins und Mieten und Pachten, angeeignet werden?
    Möglich ist dies nur durch den Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit, also dem Unternehmer, der Produktionsmittel besitzt und dem Arbeiter, der keine besitzt und somit nur seine Arbeitskraft verkaufen kann. Natürlich wird dieser von dem Unternehmer für seine Arbeitsleistung bezahlt, jedoch das Überschussprodukt, was er schafft, den Mehrwert, eignet sich der Unternehmer an.
    Das bedeutet will man das einseitig auf Profitmaximierung ausgelegte System abschaffen, muss man seinen Kern abschaffen, der bei jeder noch so tollen Erscheinungsform gleichbleibt.
    Und der heißt: Lohnarbeit.
    Lohnarbeit, und nicht Zins, Wachstum, Geld oder was auch immer.

    Und eins ist doch klar. Wenn man den Klassengegensatz zwischen Arbeit und Kapital abschaffen will und die Produktionsmittel vergesellschaftet werden sollen, heißt das nicht, dass diese in die Hand einer staatlichen Zentralverwaltung gehören. Dass dies meist die Bildung einer neuen Klasse, einer bürokratischen Kaste zur Folge hat uns die Geschichte gezeigt.

    Also muss eine Produktionsordnung gefunden werden, die Nutzung und Verfügung von Produktionsmitteln durch Vergesellschaftung demokratisch organisiert und nicht wie heute ausschließlich durch Besitz legitimiert, so dass sichergestellt werden kann, dass die Produktion den Bedürfnissen der Menschen entspricht und nicht der Profitsteigerung.
    (Womit diese Produktionsweise sich dann ja offensichtlich diametral zum homo oeconomicus verhält, da dieser ausschließlich auf die eigene Nutzenmaximierung ausgerichtet ist.)

    Hier geht es also nicht um „Gleichschaltung“, sondern um die Befreiung des Menschen, um die Befreiung von Lohnarbeit, von Fremdbestimmung, vom Verwertungszwang, von Konkurrenz.

    Natürlich habe ich den gesamten Sachverhalt nur oberflächlich angerissen, jedoch sollte dies ein Denkanstoß sein, den Kapitalismus an sich wieder zu betrachten und zu analysieren.
    Denn einer Sache sollte man sich bewusst sein: Auch wenn ich das BGE nicht grundsätzlich ablehne, so ist es nicht mehr als ein wenig „Schminke für’s System“ und auch mit einem wenig größerem Update wie diesem wird der Kapitalismus sicherlich gut zurechtkommen.

    Als Tipp: Da die Piraten sich ja so vehement für mehr Demokratie aussprechen, wäre es doch mal angebracht, sich auch für mehr Demokratie in der Wirtschaft einzusetzen.

  • 10. Mai 2012 um 15:18 Uhr
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    @Eberhard von Goldammer

    Wenn man für alle Diskussionen – also auch politische Stellungnahmen – einen Decknamen benutzt, dann kann man die anonym gemachten Argumente einfach nicht ernst nehmen; d.h. wenn ich – aus welchen Gründen auch immer – Frau Merkels Politik kritisiere, dann tue ich das unter meinem vollen Namen. Können Sie mir einen politisch-konstruktiven Grund nennen, warum man das anonym machen sollte?

    Interessante These – zum Glück unhaltbar. Die Netz-Anonymität ändert überhaupt nichts an der Meinung, an der (politischen) Einstellung, an dem Geschriebenen des Anonymus.

    Auch heute noch werden selbst in demokratischen Staaten politische Gefangene gemacht, wenn auch freilich unter dem Deckmäntelchen der Kriminalität.

    Bei Weitem nicht nur aus diesm Grunde stellt Anonymität den unbedingt notwendigen Schutz des Anonymus sicher. Wer Klardaten fordert, tut dies nicht zum Segen der anonymen Personen, sondern immer zu deren Nachteil, bis hin zur extremen Schädigung.

  • 10. Mai 2012 um 14:43 Uhr
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    Modelle / Wissen

    In der vorhergehenden Diskussion habe ich mehrfach den Bezug auf Modelle für ökonomische Systeme gefunden. Aus Interesse – ich habe mit Modellen physikalischer Systeme zu tun – habe ich mitverfolgt, wie Ökonomen an die Modellkonstruktion herangehen: Man geht von individuellen Entscheidern aus, die jeweils über begrenzte Ressourcen verfügen und ihren Nutzen durch die Optimierung des Einsatzes ihrer Ressourcen zu maximieren versuchen.

    Inzwischen sind etliche Details bekannt, die jene Modelle beeinträchtigen und an deren Beseitigung Spezialisten für Ökonometrie arbeiten. Dazu gehören die unvollständige Information bzw. Informations-Asymmetrie zugunsten der Anbieter, das von der Nutzenmaximierung abweichende Verhalten vieler Marktteilnehmen, und vieles mehr.

    Wenn ich ein System modellieren will, versuche ich, es mit einem oder mehreren Graphen darzustellen. Darin ist jedes Element oder eng gekoppelte Subsystem ein Knoten, und jede Beziehung zwischen zwei Knoten eine „Kante“. Entlang der Kanten muss ich Funktionen – meist Differentialgleichungen – definieren, die die zeitliche Entwicklung der Einflüsse eines Knotens auf den jeweils anderen beschreiben.

    In der Physik habe ich meist distanzkorrelierte Abhängigkeiten, die ich mit einer Metrik darstellen muss, die verhindert, dass ich große Mengen an Knoten als Gruppe gemeinsam behandeln kann: Ich muss Elementarzellen definieren, zwischen denen jeweils gleiche – leicht in Zeitschritte zu diskretisierende – Beziehungen herrschen, und kann per numerischem Modell deren Entwicklung von Zeischritt zu Zeitschritt beobachten. Dabei kommt es mir meist auf die lokalen Effekte an.

    In der Systemanalyse kann ich räumliche Beziehungen meist vernachlässigen – ich kann mit einem System aus agglomerierten Knoten arbeiten, die durch kompliziertere funktionale Beziehungen verbunden sind, die nicht so leicht zu diskretisieren sind (und oft empirisch bestimmt wurden). Hier interessiert mich das globale Systemverhalten; ich kann verschiedene Systemzustände modellieren und das „Kippen“ des Systems aus einem in den anderen Zustand beobachten bzw. durch Rechnen von Szenarien beeinflussen. Das Ganze geht zurück auf Ludwig von Bertalanffys Allgemeine Systemtheorie und lebt stark eingeschränkt weiter in der Steuer- und Regelungstechnik sowie in der Biologie (z.B. bei Räuber-Beute-Systemen).

    Der Unterschied dieser systemtheoretischen Herangehensweise zur ökonometrischen ist, dass bei ersterer der Einzelne mit seinen Entscheidungen eingebettet ist in eine Umgebung als wirksam erkannter Regeln, die das System weitgehend bestimmen. Dass es die gibt, wird in der Ökonomie anscheinend weitgehend ignoriert.

    Aus der Ignoranz hinsichtlich systemischer Gesetzmäßigkeiten ergeben sich leider direkte politische Konsequenzen

    – wie das „Fördern“ von Arbeitslosen zur Wieder-Eingliederung in den Arbeitsmarkt (die Förderung schafft vielleicht beim Einzelnen, wenn sie gut ist, die Besetzung einer offenen Stelle oder – als Selbständiger – die Besetzung einer „Marktlücke“ (einer ökologischen Nische im System); dafür wird jedoch der Umfang der agglomerierten Gruppe „Arbeitslose“ überhaupt nicht geändert (es verliert z.B. jemand anders seinen Job);

    – oder wie die „angebots-orientierte“ Wirtschaftspolitik (Kernbereich der als „neoliberal“ bezeichneten Ideologie), die darauf zielt, durch Steuer- und Kostensenkungen das Angebot billiger zu machen. Erst bei systemischer Betrachtungsweise fiele auf, dass des Einen Kosten des Anderen Einkommen sind, und dieser Andere den Markt für die produzierten Güter stellen würde, weshalb nach eingehender Marktanalyse die Investition in eine Güterproduktion trotz günstiger Herstellungskosten unterbleibt;

    – oder wie der völlig untaugliche Versuch, die wirtschaftlichen Interaktionen möglichst weitgehend auf das übergeordnete System zu verlagern („Globalisierung“), dessen Beschränkungen zur Vermeidung systemzerstörender Konsequenzen jedoch den Subsystemen (Nationalstaaten oder noch darunter) zu überlassen, die damit notwendig in einen Wettbewerb um Regelabbau getrieben werden;

    – oder – die Beispiele sind Legion – wie der verrückte Gedanke, man könne die Verschuldung einer Subkomponente („Staatshaushalt“) bei einer anderen („Vermögensbesitzer“) einseitig betrachten – ohne die Konsequenzen einer Schuldenrückführung auf die vormaligen Gläubiger zu berücksichtigen (die natürlich das Geld für die Entschuldung des Staates über höhere Steuern aufzubringen hätten, weil es das Subsystem der Nicht-Vermögensbesitzer mangels eigener Mittel nicht kann – spart man bei den Nicht-Vermögensbesitzern, sinkt deren Kaufkraft, also das Steueraufkommen, also die möglichen Mittel zur staatlichen Schulden-Rückzahlung; die Verschuldung bleibt in der Folge, wie sie war).

    Ich werde das Gefühl nicht los, die Systemignoranz habe ihrerseits System; in den Wirtschaftswissenschaften gibt es Pseudo-Gesetzmäßigkeiten wie das „Say’sche Theorem“, nach dem jede x-beliebige Ware immer noch irgendwohin (in eine „Cloud“ vielleicht?) abverkauft werden könne, weshalb sich die Produktion zu entsprechend niedrigen Kosten immer lohnen würde.

    All‘ die Vorrede, um auf die Themen „Piraten“ und „Demokratie“ zu kommen: Ich habe die Hoffnung, dass die Piraten, die ich für die Totengräber und legitimen Nachfolger der FDP halte, ihr Wissen um Netze dahingehend nutzt, unsere Welt als vernetztes System zu begreifen. WENN man es so begreift, kann man auch das Maximum an individueller Freiheit für jeden Einzelnen und jede Einzelne dort herausholen, ohne dafür das System oder seine Subsysteme kaputt zu machen.

    Das Wissen darum, dass die Ökonomie als System aus Regelkreisen beschrieben und modelliert werden kann, ist nicht gerade neu – nach Bertalanffy war Frederic Vester einer ihrer bekanntesten Promotoren. Damals gab dieses Wissen den Grünen Impulse – leider nicht nachhaltig genug, wie mir scheint.

  • 10. Mai 2012 um 13:14 Uhr
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    Piraten sind eine Wischi-waschi Partei. Eigene Erfahrung mit realen Piraten in meinem Wohnort.

    Bei der konstituierenden Sitzung des Stadtrats wurde jede positive Entscheidung zu Gunsten der Piraten ODER der FDP von diesen Ratsmitgliedern per „high five“ abgeklatscht. Anträge wurden immer mit den „etablierten Parteien“ gemeinsam abgestimmt.

    Ich arbeite ehrenamtlich in einer sozialen Einrichtung. Dort engagieren sich KEINE Piraten im Beirat. Die haben sich andere „Posten“ ausgesucht. Durch den Kontakt mit anderen Ratsmitgliedern (die im Beirat aktiv sind) habe ich erfahren, die Piraten „schmusen“ mit den etablierten Parteien. Sie biedern sich an.

    Mehr nicht hier öffentlich. Ich bin aber bereit Ihnen per Mail genauere Angaben zuzusenden, wenn Sie es wünschen. Meine Mailadresse liegt Ihnen vor.

  • 10. Mai 2012 um 13:00 Uhr
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    @ Eberhard von Goldammer

    Sie irren. Unsere Gesellschaft ist eben nicht sooo frei. Ich habe einen Arbeitsplatz in der Finanzindustrie, der mir Spaß macht und an dem ich etwas, im kleinen Rahmen, bewegen kann (wir sind nicht alle böse). Ich habe aber zu vielen Punkten eine kritische Ansicht, eine nicht-Mainstream-Ansicht, und ich werde nicht meinen Namen in die Öffentlichkeit hinausblasen, mit dem Risiko, dass mich demnächst mein Boss ins Büro bestellt und mir kundtut, dass ich hier ja wohl Ansichten entgegen der Firmenpolitik vertrete.

    Meine Freiheit endet dort, wo ich unter ökonomischen Gesichtspunkten entscheide, meine berufliche Zukunft und mein Einkommen, deutlich über dem Median, zu schützen. (Oder anders: Es ist meine freie Wahl, anonym zu bleiben.) Aber deswegen bin ich nicht der Meinung, dass ich meine Argumente nicht im Netz kundtun kann, gerade weil ich über Detailkenntnisse verfüge, von denen ich glaube, dass sie es mir ermöglichen, auch fundiert an Diskussionen teilnehmen zu können. Wenn Sie dann diese Argumente nicht ernst nehmen können, nur weil der Absender anonym ist, dann ist das schade. Aber genau für diese Zielgruppe versucht man ja dann, die Argumente mit belegbaren Fakten und nachvollziehbarer Logik zu versehen.

    Als Sie früher noch ein Lexikon (gedruckt, ganz klassich, in analoger Form) zur Hand nahmen, wussten Sie doch auch nicht, wer genau den Abschnitt über „Odysseus“ geschrieben hat und trotzdem haben Sie das nicht alles in Zweifel gezogen?

    Mit Gruß!

  • 10. Mai 2012 um 12:22 Uhr
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    Korrekt. Wir wollen daran etwas ändern! Denkverbote in der universitären VWL und auch anderswo sind keinesfalls zielführend.

    LG, Nick H. aka Joachim Paul

  • 10. Mai 2012 um 12:14 Uhr
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    @Ans
    … wer ist „Ans“? – muss ein derartiger Beitrag anonym sein? Nennen Sie mir bitte einen plausiblen Grund dafür!

    Und überhaupt:
    Man kann das Problem „Anonymität/nicht-Anonymität“ und/oder „Transparenz/nicht-Transparenz“ doch nicht zu einer generellen „Entweder-Oder-Frage“ machen – also von nur einem Standpunkt aus thematisieren – das habe ich im obigen Beitrag (vom 08-05-12) als monothematisch bezeichnet und ich selbst habe meinen Einwand konkretisiert auf die Diskussion/Kommunikation im Web und nicht auf alles Mögliche.

    Wenn man für alle Diskussionen – also auch politische Stellungnahmen – einen Decknamen benutzt, dann kann man die anonym gemachten Argumente einfach nicht ernst nehmen; d.h. wenn ich – aus welchen Gründen auch immer – Frau Merkels Politik kritisiere, dann tue ich das unter meinem vollen Namen. Können Sie mir einen politisch-konstruktiven Grund nennen, warum man das anonym machen sollte?

    Wir sind in einem Rechtsstaat und eine Revolution – so wie in Nordafrika – bereiten wir momentan (noch) nicht vor. Das kann man doch nicht alles in einen Topf schmeißen.

    Und im Übrigen: Es wird immer politische Gespräche/Handlungen geben, die nicht öffentlich, d.h. transparent gemacht werden können – denken Sie an die Diplomaten; deren Gespräche können doch nicht prinzipiell, d.h. permanent öffentlich geführt werden. Diese Vorstellung ist einfach kindisch – ich weiß ja nicht, wem ich das jetzt sage – aber so ist es!

  • 10. Mai 2012 um 10:46 Uhr
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    Platzhirsche verteitigen bzw. erobern ihr Terrain. Die großen Probleme der Menschheit sind wie immer nebensächlich.

  • 10. Mai 2012 um 10:25 Uhr
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    Lieber Herr Paul,

    Ihre Behauptung, „Bislang aber ist z.B. Energie – ebenso wie jeder Rohstoff – in jeder bislang existierenden Wirtschaftstheorie, und das nicht nur in neoliberalen Wirtschaftsmodellen und -Theorien, eine beliebig kapitalisierbare Größe, d.h. ich kann – im Modell – immer einen Preis angeben, und sei er noch so hoch, für den ich Energie oder einen Rohstoff erhalten, einfach kaufen kann. Diese Modelle gehen von im Prinzip unbegrenzten Ressourcen aus.“ ist unzutreffend, ebenso Ihre Kommentare zum „homo oeconomicus.

    Ihre Kritik teile ich in Bezug auf den neoklassischen Ansatz. Daneben gibt es aber eine Reihe von Wirtschaftstheorien, die sich mit den Naturgesetzen ernsthaft auseinandersetzen und das Modell „Homo oeconomicus“ durch realistischere Annahmen ersetzen. Ich empfehle Ihnen, sich über die folgenden Forschungsfelder zu informieren:
    – Ökologische Ökonomie
    – Nachhaltige Ökonomie
    – Evolutionäre Ökonomie
    – Post-Keynesianische Ökonomie inkl. Neo-Ricardianische Produktionstheorie

    Leider fristen diese Ansätze ein Nischendasein, weil an deutschen VWL-Fakultäten fast ausschließlich die Neoklassik unterrichtet wird. Vielleicht könnte Ihre Partei ja daran etwas ändern?

  • 10. Mai 2012 um 10:09 Uhr
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    Trotz aller guten Vorsätze der Piraten, allein das Antreten der Piraten bei Wahlen macht die „Etablierten“ aus SPD und CDU/CSU stärker, weil sich das „linke“ Lager (was davon übrig ist) immer mehr zerlegt und große Koalitionen wahrscheinlicher werden (Schlesw.Holst. z. B.). So wird eher das Gegenteil erreicht – die „Bürgerlichen“ und ihre Mainstream-Wirtschaftshörigkeit können sich länger halten.

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  • 9. Mai 2012 um 19:51 Uhr
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    Das „Pochen auf Anonymitaet“ im Internet steht nicht im Widerspruch zur Forderung der POLITISCHEN Transparenz, wie sie die Piraten fordern.

    Anonymitaet im Internet ist aus sozialen und technischen Gruenden unabdingbar. Sozial: Minderheitenschutz, Schutz vor Repressalien, Schutz der Privatsphaere. Technisch: Jeglicher Versuch, die Anonymitaet im Internet abzuschaffen fueht zum Aufbau von komplexer Ueberwachungsinfrastruktur, die selber von der Oeffentlichkeit nicht zu ueberwachen ist und Missbrauch damit Tuer und Tor oeffnet – das kann Menschenleben kosten! Man denke nur an den Arabischen Fruehling.

    Politische Transparenz bedeutet, dass der Entstehungsprozess aller politischen Entscheidungen dem Buerger transparent gemacht werden. Das hat rein gar nichts mit der Frage nach Anonymitaet im Internet zu tun…

  • 8. Mai 2012 um 19:01 Uhr
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    :-O … Ups … „Wissen“, „Wissensgesellschaft“ …
    … sind das wirklich die originären Themen für eine politische Gruppierung, die sich noch im Status nascendi befindet?

    Da kommen sicherlich auch einige der Geisteswissenschaftler ins Schwitzen, wenn sie sich ad hoc zu diesen Themen äußern sollten. Das kann man sich sehr schnell an dem Begriff „Wissen“ verdeutlichen und dazu genügt schon ein kurzer Blick in die Mitmach-Enzyklopädie Wikipedia um das einzusehen – Zitat (Wikipedia):
    „Wissen wird in der Erkenntnistheorie traditionell als wahre und gerechtfertigte Meinung (englisch justified true belief) bestimmt. Generell wird Wissen als ein für Personen oder Gruppen verfügbarer Bestand von Fakten, Theorien und Regeln verstanden, die sich durch den größtmöglichen Grad an Gewissheit auszeichnen, so dass von ihrer Gültigkeit bzw. Wahrheit ausgegangen wird. Paradoxerweise können daher als Wissen deklarierte Sachverhaltsbeschreibungen wahr oder falsch, vollständig oder unvollständig sein. […]“

    Entweder ist das „Wissen über Etwas“ allgemein „wahr“ – dann ist es langweilig, wie uns Bertrand Russell belehrt (Zitat aus „Wahrheit und Falschheit“, in G. Skirbekk (Hg.), Wahrheitstheorien––Eine Auswahl aus den Diskussionen über Wahrheit im 20. Jahrhundert, Frankfurt 1996, p. 64):
    „Wenn wir uns eine bloße materielle Welt vorstellen, dann gibt es keinen Platz für die Falschheit in dieser Welt […] In der Tat sind Wahrheit und Falschheit Eigenschaften von Meinungen und Aussagen, deshalb könnte eine bloß materielle Welt – eben weil sie keine Meinungen und Aussagen enthielte – auch keine Wahrheit oder Falschheit enthalten.“

    – oder aber das „Wissen über Etwas“ ist nicht allgemein gültig, dann ist es möglicherweise unvollständig – aber woher wissen wir das? –; oder aber das „Wissen über Etwas“ ist standpunktabhängig und dann stehen wir vor einem wissenschaftslogischen Problem, das der Kybernetiker Heinz von Foerster – kontrapunktorisch zu Russell – einmal so ausgedrückt hat: „Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“.

    Ich kann mir nicht helfen, diese Problematik sollte man erst einmal in den wissenschaftlichen Institutionen thematisieren, was nicht ausschließt, dass sich auch junge Menschen wie die Piraten damit auseinandersetzen.
    *
    Was nun den Begriff der „Wissensgesellschaft“ anbelangt, da frage ich mich doch: Haben wir heute bereits eine Wissensgesellschaft? Meine Antwort darauf wäre ein klares NEIN, – auch wenn das ein beliebtes Schlagwort ist und sich erste Schimmer, die auch sogleich große dunkle Schatten werfen, am Horizont zeigen – letzteres will ich nicht bestreiten.

    Auf der Basis unseres heutigen Wissenschaftsparadigmas, das auf der Aristotelischen Logik und der sich daraus ergebenden Mathematik beruht, ist eine Wissensgesellschaft – aus logischer Sicht – eine Contradictio in adjecto, also ein Widerspruch in sich. Dieses Wissenschaftsverständnis ist – um es mit dem Logiker und Philosophen Gotthard Günther auszudrücken – monokontextural und damit auch monothematisch und – mit Blick auf das obige Zitat von Russell – langweilig, weil entweder wahr oder falsch – ein Drittes ist ausgeschlossen.

    Unter einer Wissensgesellschaft stelle ich mir eine planetarische Gesellschaft vor, bei der nicht mehr die Naturwissenschaften im Zentrum des Interesses stehen – diese haben heute ihren Zenit längst überschritten –, sondern die Lebenswissenschaften und damit auch Kulturwissenschaften, die nur dann global wirklich vermittelt werden können, wenn die entsprechenden geistigen und damit formalen Werkzeuge vorhanden sind; – auf der Basis der klassischen Logik und Mathematik – also auf der Grundlage eines monokontexturalen und damit monothematischen Wissenschaftsverständnisses – ist das nicht möglich. Schon der Gedanke daran ist unsinnig.

    Auch das ist eigentlich primär ein akademisches Thema. Die jungen Leute müssten eher protestieren – wie etwa die post-autistische-Ökonomie-Bewegung, die sich in Deutschland gerade zaghaft zu Wort gemeldet hat, weil ihnen seit Jahren, um nicht zu sagen seit Jahrzehnten, in den Hochschulen/Universitäten das Gehirn total vernebelt wird, von der oben angedeuteten Problematik haben sie nie etwas gehört.
    * *

    Sicherlich brauchen die Piraten als eine politische Gruppierung ein (visionäres) Ziel, denn „wer keinen Zielhafen hat, dem weht jeder Wind immer aus der falschen Richtung“ (Francis Bacon) – aber das gilt auch für andere politische Gruppierungen/Parteien. Dazu habe ich bereits weiter oben (am 06.05.12) etwas in diesem Blog geschrieben und brauche das hier nicht zu wiederholen.

    Dennoch brauchen sich die Piraten nicht auf alle Themen festzulegen oder gar in eine politische Richtung einordnen, denn bei ihnen ist auch der Weg, der Prozess das Ziel – das habe ich, so hoffe ich jedenfalls, verstanden. Es erinnert mich ein wenig an das, was François Jullien in „Der Umweg über China––Ortswechsel des Denkens“ über die chinesische Denk- und Handlungsstrategien geschrieben hat, auch wenn ich vermute, dass kaum einer der Piraten das je gelesen hat (Ziat):
    „Die chinesische Strategie des Sinns und die Logik der Neigung implizieren eine besondere Konzeption der Wirksamkeit […]. Für die Chinesen entsteht die Wirksamkeit nicht dadurch, dass wir eine vom Verstand entworfene und vom Willen als Ziel gesetzte Idealform aufstellen, sodass wir ‚den Blick auf sie gerichtet‘, wie die Griechen sagten, versuchen sie in die Wirklichkeit umzusetzen; sondern sie entsteht eher durch eine Logik der kontinuierlichen Veränderung der Dinge und der Situationen, eher dadurch, dass wir früher oder später ausfindig machen, was in der Konfiguration tragend ist und uns dann von ihr tragen lassen, indem wir diese günstige Neigung ausnutzen. Die ganze chinesische Strategie besteht darin zu wissen, wie dieses Situationspotential ausgenutzt werden kann. […]
    Da die Wirklichkeit aus chinesischer Sicht nur aus ablaufenden Prozessen besteht, kann auch die Wirkung nur aus dem Ablauf heraus geschehen: durch die Neigung der Dinge [sowie die Neigung der humanen Subjekte, Anmerkung_vgo] und nicht durch die Projektion eines Modells. Das entfernt uns von der Beziehung von Theorie und Praxis, die eine der am tiefsten verwurzelten Vorentscheidungen der europäischen Vernunft ist. […]
    … die chinesische Strategie beruht auf diesem scheinbaren Paradox: Einerseits handelt es sich darum, die Initiative zu monopolisieren, indem man den Gegner zur Passivität zwingt. Ich bleibe kontinuierlich beweglich, wach, reaktiv, während der andere allmählich nichts anderes mehr tut, als sich nach mir zu ‚richten‘; aber andererseits schöpfe ich diese Initiative und diese Mobilität nicht aus meinem Fond, sondern daraus, dass ich mich unaufhörlich dem anderen anpasse – so wie das Wasser sich unaufhörlich vorwärts bewegt, indem es sich dem Gelände anpasst [und sich das Gelände dem Wasserverlauf anpasst, Anmerkung_vgo].“
    * *
    Wo ich ein „Problem“ mit den Piraten habe, ist deren Pochen auf Anonymität, was ja im Widerspruch zu ihrem Anspruch auf Transparenz steht. Aber vielleicht haben sie ja eine Liste in denen die Decknamen den wirklichen Namen ihrer Mitglieder zugeordnet sind – das kann ich nur hoffen, denn sonst wäre sie einfach blöd, weil dann eine wirkliche Kommunikation gar nicht möglich wäre.

  • 6. Mai 2012 um 13:57 Uhr
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    Lieber Joachim Paul,
    über Ihr Gesprächsangebot freue ich mich.
    Modelle sind immer nur so gut, wie die ihnen zugrundeliegenden Annahmen.
    Mathematik ist eine Hilfswissenschaft, sie kann das Denken disziplinieren und Komplexität reduzieren. Aber sie kann aus sich heraus die Realität nicht erklären.
    Ich würde gerne mit Ihnen über meine bisherigen Bedenken diskutieren.
    Etwa über meinen Beitrag in den NachDenkSeiten http://www.nachdenkseiten.de/?p=13029#more-13029. Dort habe ich geschrieben:
    „Die Piraten: Sie machen alles anders, sie wissen nur noch nicht, was sie machen wollen

    Mit den Piraten stellt sich eine Partei zur Wahl, die eigentlich (noch) gar keine Partei ist. Denn es ist völlig offen welchen „Pars“, also welchen Teil der Gesellschaft oder welche Richtung diese Bewegung vertritt. Die Piraten sind eine Denkzettelpartei für die etablierten Parteien. Ihre inhaltlichen Leerstellen werden von vielen nicht als Mangel betrachtet, sondern das fehlende Programm ist eher eine Projektionsfläche für viele Politikverdrossene, für die es letztlich keinen großen Unterschied macht, ob nun Schwarz-Gelb, Rot-Grün oder eine große Koalition regiert. Die Hochstimmung für die Piraten erklärt sich aus einer eher fatalen Stimmungslage: Egal was, Hauptsache es ändert sich etwas. Die Piraten streben nach politischer Macht, ohne sagen zu können, was sie mit dieser Macht anstellen würden.“

    Meine Sorge gegenüber dem theoretischen Fundament der Piraten gilt vor allem der unreflektierten Übernahme des Begriffs „Wissen“:
    Die Piraten sehen sich auf der Höhe der Zeit, nämlich als diejenigen, die im „Informationszeitalter“ und in der „Wissensgesellschaft“ schon angekommen sind. Wissen sammeln, Wissen weiterverbreiten, Wissen austauschen, Wissen vernetzen und das ohne jegliche Barrieren weltweit, das soll die neue „Kulturtechnik“ sein.

    Doch werden mit „Informationszeitalter“ oder „Wissensgesellschaft“ nicht einfach nur Kategorien übernommen, die eher zum banalen „Reformsprech“ gehören oder gar in eine konservative Denkrichtung führen? Sprechen nicht etwa Angela Merkel, die Bertelsmann Stiftung, die Unternehmerverbände oder der reaktionäre „Bürgerkonventler“ Meinhard Miegel nicht auch ständig von der „Informations- und Wissensgesellschaft“? Wird in der wirtschaftsliberalen Lissabon-Strategie der EU nicht die Verwirklichung der Wissensgesellschaft zum obersten Ziel erhoben? Ist die Wissensgesellschaft, neben der Globalisierung und vielleicht noch dem demografischen Wandel nicht etwa als Hebel zur Einführung der neoliberalen Agenda-Politik benutzt worden?

    Üblicherweise soll mit dem „Paradigmenwechsel“ (so Miegel) von der Industrie- zur Wissensgesellschaft doch nichts anderes gesagt werden, als dass die Bedeutung des Wissens als ökonomische Ressource immer mehr Bedeutung erlangt. Und ist es nicht gerade deshalb so, dass in allen unseren Bildungssystemen Wissensvermittlung auf instrumentelles Wissen, auf die Vermittlung von „Beschäftigungsfähigkeit“ reduziert wird?

    Wer sich wie die Piraten als Ausdruck einer historischen Epoche, nämlich einer „Wissensgesellschaft“ versteht, sollte wenigstens den Versuch machen, zu erklären was er damit sagt und meint.

    Wissen heißt eben noch lange nicht verstehen und schon gar nicht heißt es, denken können. Sicherlich, denken, ohne zu wissen, kann man nicht, aber Wissen ohne Verstehen (Begreifen) und ohne ein Denken, das Sinnzusammenhänge herstellt, ist beliebig einsetzbar und auch missbrauchbar. Mit Wissen kann man Leben töten und Leben retten.

    „Wissen ist Macht“ sagt man landläufig, doch umgekehrt ist es auch immer so gewesen, dass jede Macht, das zu ihrer Erhaltung und Stabilisierung erforderliche Wissen zu generieren versucht hat.

    Zumal bei politischen Entscheidungen über neue Herausforderungen werden also auch die Piraten nicht darum herumkommen Wertentscheidungen treffen zu müssen. Dabei geht es weniger um eine Links-Rechts-Entscheidung, sondern die Piraten werden sich entscheiden müssen für welche gesellschaftlichen Interessen sie das im Netz vorhandene Wissen einsetzen wollen. Solange die Piraten ihre Werte nicht bestimmt haben und sich bestenfalls als „individualistisch“ bzw. „liberal“ selbstbestimmend (Marina Weisband) verstehen und solange sie sich nicht darüber im Klaren sind, für welche (berechtigten) gesellschaftlichen Interessen sie sich einsetzen, kauft man als Wählerin oder Wähler die Katze im Sack. Oder anders: Die Piraten sind eine „liquide“ Bewegung, die jeden Tag (je nach „shitstorm“) eine andere Position einnehmen können.

    Bisher beschränkt sich das Neue an den Piraten vor allem auf eine formale und eher technisch-instrumentelle Struktur, sozusagen auf ein neues Betriebssystem der innerparteilichen Meinungsbildung. Sie wollen Entscheidungsverfahren aus dem technischen in den politischen Raum transformieren. Und das, in der Erwartung, dass dabei das „Wesen des Politischen eine Transformation erfahren muss“ (Joachim Paul). Kurz: Die Piraten definieren sich gegenwärtig (noch) über eine technische und formale Hülle oder als ein Medium der Politik und nicht über die Inhalte ihrer Politik. Im Mittelpunkt stehen (noch) die Transportwege von Beteiligung, aber noch sind die Ideen nicht an einem Zielpunkt angekommen.
    http://www.nachdenkseiten.de/?p=12934

    Ich halte die Rechtfertigung der bisher recht punktuellen und eher zufälligen Aussagen in den Wahlprogrammen der Piratenpartei damit, dass die etablierten Parteien ihre schönen Programme vergessen, wenn sie erst an die Macht kommen, nicht für hinreichend. Man müsste auch die Frage beantworten, warum das so ist. Oder anders, welche Macht stärker ist als offenbar die (demokratische) Politik.
    Wenn Eberhard von Goldammer die (berechtigte) Kritik von Colin Crouch an der „Postdemokratie“ anspricht, so müsste er auch darauf hinweisen, dass Crouch die demokratischen Rituale deswegen für zunehmend irrelvant hält, weil die konkrete Politik hinter den Kulissen, im Zusammenwirken von politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern bestimmt wird.
    Oder verkürzt gesagt: Die derzeitige praktische Politik – und das könnte ich an vielen Beispielen von der Bankenrettung bis hin zur europäischen Schuldenbremse belegen – „zappelt in den Drähten der Finanzindustrie“ (Jürgen Habermas).
    Solche tiefergreifenden Analysen des Politischen vermisse ich bisher bei der Piratenpartei und insofern befürchte ich, dass die Piratenpartei ziemlich rasch auch „in den Drähten“ der ökonomisch und medial Mächtigen zappeln könnte.

    Herzliche Grüße
    Wolfgang Lieb

  • Pingback: Thorstena » Links (06.05.2012)

  • 6. Mai 2012 um 09:34 Uhr
    Permalink

    Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

    Eigentlich hatte ich erwartet, dass auch von dem Autor (Byung-Chul Han) des Artikels „Alles fließt–aber wohin?“ eine kurze Antwort in diesem Blog erscheint, da ich über seinen Vergleich der Internet-Gesellschaft mit einer „Stammesgesellschaft“ etwas irritiert war und immer noch bin. Ohne auf diesen Vergleich näher eingehen zu wollen, möchte ich in diesem Kontext auf das Buch von Manfred Faßler „Nach der Gesellschaft“ verweisen; dort heißt es schon im Klappentext:
    „Die globalen Verbreitungen digitaler Netzwerke schwächen und zerstören zusehends einen alten Mythos: die Gesellschaft. Die Menschheit ist dabei, ihre Organisationsweisen und Lebenszustände grundlegend zu verändern.
    Die These dieses Buches ist: Gesellschaften verlieren ihre Vererbungstauglichkeiten und damit ihre Reproduktionstauglichkeit. Sie verlieren sie an komplexe ökonomische, projektgebundene, künstlerische, kollaborative Informationsrealitäten, die für ihre selektiven Vernetzungen, ihre koordinierenden Verabredungen und ihre Innovationsfähigkeit des Legalitäts- und Legitimiationsraumes der Gesellschaft nicht mehr bedürfen. Gegenwärtig steht dafür das Kürzel: Web 2.0.“

    Ich möchte ja weder den Soziologen noch den Philosophen – und schon gar nicht in ihrer, wie auch immer begründeten, Funktion als Medientheoretiker – ins Handwerk pfuschen, aber soviel scheint doch festzustehen: Hier handelt es sich um völlig entgegengesetzte Wahrnehmungen eines Phänomens, nämlich das der „Internet-Gesellschaft“ – was immer man unter einer derartigen Gesellschaft verstehen mag.

    Noch mehr erstaunt war und bin ich über die allseitigen Reaktionen in den Medien hinsichtlich des Auftauchens und dem – prognostizierten und hoffentlich eintretenden – Wahlerfolg der Piraten(-Partei). Wer einmal das Buch „Postdemokratie“ von Colin Crouch gelesen hat und/oder über Jahrzehnte hinweg mit jungen Menschen (Schülern und/oder Studenten) zu hatte, der kann sich ja nur freuen, dass endlich ein gewisses Politik-Interesse/Engagement bei der jüngeren Generation zu erwachen scheint, denn diese Generation muss ausbaden, was die Polit-„Elite“ der etablierten Parteien heute alles über die Köpfe ihrer Wähler hinweg beschließt und bereits beschlossen hat und zusammenpfuscht.[1]

    Es wirkt geradezu grotesk von dieser relativ ad hoc aufgetauchten Bewegung schon fertige politische Lösungen für Probleme abzuverlangen, die sich als Folge politischen Versagens über Jahrzehnte angesammelt haben (man denke an die Umweltproblematik, den exorbitanten Ressourcenverbrauch und die damit einhergehende Verschuldung und so weiter und so fort).

    Wer aber meint, es gäbe keine Themen/keine Inhalte für diese politische Bewegung, der hat keine Fantasie, denn einige bisher unbearbeitete Themen liegen förmlich auf der Straße und werden mit Sicherheit auch von diesen jungen Leuten gesehen und auch aufgegriffen werden.

    Da ist die Idee „Europa“: Wer ist denn nicht frustriert über den Brüsseler Bürokratenklüngel und sehnt sich eine politische Einigung herbei, von der so viele glauben, dass diese gar nicht möglich sei – warum eigentlich?[2] – Wenn überhaupt, dann wird es ein politisch vereintes Europa nur dann geben, wenn sich die junge Generation – im Sinne einer Graswurzelbewegung oder eines Pilz-Myzels – untereinander europaweit vernetzt und die Betonköpfe der etablierten Parteien vor sich herjagt – dafür haben die (jungen) Piraten heute alle Voraussetzungen und nicht nur aus technischer Sicht.[3]

    Aber da gibt es noch mehr. Was hatten uns die Politiker 2008 alles an Maßnahmen versprochen, um den galoppierenden Finanzkapitalismus zu bändigen.[4] Ist davon irgendetwas umgesetzt worden? – Nein!

    Das kann man alles wieder aufgreifen und etwas „updaten“ wenn man sich beispielsweise die Vorschläge der Arbeitsgruppe „Alternative Wirtschaftspolitik“[5] zu eigen macht. Wo ist also das Problem? Die jungen Leute werden die Themen schon finden, da habe ich keine Sorge – kiu ne riskas, tiu ne gajnas.
    *
    [1] Ich zitiere dieses Buch bewusst, um mir an dieser Stelle eine weitere Beschreibung der Krise, in der sich unsere Gesellschaft heute befindet, zu ersparen, denn das würde den Rahmen dieses Blogs schlicht sprengen – wer eine Leseprobe dieses Buches haben möchte, kann diese über webmaster@vordenker.de tun.

    [2] Auch hier möchte ich – um den Rahmen des Blogs nicht zu sprengen – wieder einen Buchtitel anführen: „Das Ende des Selbstbetrugs––Europa braucht eine Verfassung“ von Claus Koch – und auch hier gilt: Wer eine Leseprobe dieses Buches haben möchte, kann diese über webmaster@vordenker.de tun.

    [3] Die jungen Leute werden schnell bemerken, dass das Sprachproblem, das wir in Europa haben, nicht allein mit der englischen Sprache gelöst werden kann, denn als „Brückensprache“ für ein sprachunabhängiges Web taugt die englische Sprache nicht, wer das nicht sofort einsieht, der sollte einfach einmal unter „Universalschriftsprache“ googeln und dann weiterlesen.

    [4] Nur zur Erinnerung: 2008 war das Jahr in dem dieser Finanz-Irrsinn wie ein Tsunami als so genannter Finanzcrash über uns hereinbrach – ein Ereignis, das angeblich von niemanden vorhersehbar war – am allerwenigsten natürlich von den Politikern und Bankstern; – war das wirklich nicht vorhersehbar? Im Jahr 2003 gab es laut Handelsblatt vom 24.02.2003 „Diskussionen um eine Auffanggesellschaft für notleidende Kredite deutscher Institute, die die gesamte Finanzbranche aufschreckte. Der hochbrisante Vorschlag wurde [in einer] Kanzlerrunde mit Spitzenkräften aus der Banken- und der Versicherungsbranche gemacht“. Was folgt daraus? – Von dem bevorstehenden Finanzdebakel haben bereits 2003 sowohl die Bankster aber auch die Politiker gewusst – von einer Überraschung im Jahr 2008 kann nicht die Rede sein(!!) – ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Hier die URL zu dem Hinweis im Handelsblatt: http://www.handelsblatt.com/archiv/indiskretion-nach-spitzentreffen-bad-bank-sorgt-fuer-aufregung/2228686.html

    [5] Siehe: http://www.alternative-wirtschaftspolitik.de/

  • 3. Mai 2012 um 01:26 Uhr
    Permalink

    Lieber Wolfgang Lieb,

    dass Sie meinen offenen Brief nicht direkt erhalten haben, tut mir Leid. Ich bin wohl fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Trackbackfunktion Ihrer Seiten Ihnen den Eingang eines KOmmentars auf den Artikel meldet.

    Und in der Tat, es ist echt stressig im Moment.
    Zur Ihrer Frage zu den netzwerktheoretischen Modellen, nein, das fürchte ich nicht. Diese Modelle sind lediglich ein erster Anfang. Aber was ist denn Ihrer Meinung nach eine Alternative, auch zu den ökonomischen Modellen? Gar kein Modell oder bessere Modelle? Modelle sind für mich Modelle, und als Physiker weiß ich in der Regel, dass sie Grenzen haben. Ganz so wie Murray Gell-Mann, als er bei der Gründung des Santa Fe Institute den Ökonomen, die gerade ihre Modelle präsentiert hatten, sagte: „Und das glaubt ihr?“
    Die Frage ist in der Tat, wie weit formale Modelle tragen.
    Und das mit dem Gespräch machen wir sobald wie möglich!
    Ebenfalls herzlich, Ihr
    Joachim Paul

  • 2. Mai 2012 um 23:23 Uhr
    Permalink

    Lieber Joachim Paul,
    schade, dass Sie mir Ihren offenen Brief nicht haben zukommen lassen.
    Aber Sie sind sicherliche im Wahlkampfstress.
    Sie schreiben einen offenen Brief über einen Artikel von mir. Leider sprechen Sie die darin von mir aufgeworfenen gar nicht an.
    Und sollten Sie mich mit Ihrer Wachstumskritik ansprechen wollen, so fühle ich mich nicht getroffen.
    Ich will hier keine lange Abhandlung machen. Deshalb nur eine Frage zum Bedenken: Fürchten Sie nicht, dass Sie mit Ihrem Bezug zu netzwerktheoretischen Modellen (unter Laborbedingungen) nicht die gleichen schlimmen Fehler machen, wie die Ökonomen, die inzwischen auf der Basis von sogar viel komplexeren Modellen, dogmatische Welterklärungen liefern, die genau zu dem gesellschaftlichen Zustand geführt haben, den Sie selbst in Frage stellen?
    Sie brauchen mir in dieser für Sie sicherlich äußerst hektischen Zeit, nicht zu antworten. Vielleicht ergibt sich ja gelegentlich eine Möglichkeit zum Gespräch.
    Herzliche Grüße
    Wolfgang Lieb

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