Nebelhörner aus Gütersloh … zur digitalen Gemengelage im Land, diesmal: Schule! Schon wieder.

~6 min Lesezeit

Nebelhörner, die vor Nebel warnen, den sie selbst produzieren, das ist doch mal was!

Die Bertelsmann-Stiftung veröffentlichte passend kurz vor der Bundestagswahl mal wieder eine Studie, die uns Neues von der Digitalfront in unseren Schulen mitteilen möchte. Tut sie aber nicht.

Was ist also der Sinn dieser Studie, worum geht es? Um Geld, um Geschäftsmodelle und um die von Frau Ministerin Wanka angekündigten aber noch nicht bewilligten 5 Mrd. € für die Förderung der Schulen bzgl. dessen, was Land auf Land ab von vielen Beteiligten sprachdefizitär und verkürzt „digitales Lernen“ genannt wird. Und um Agenda-Setting, um politischen Druck. Und möglicherweise um Beschäftigungstherapie für WissenschaftlerInnen, die ja sonst nichts Sinnvolles zu werkeln haben.

Insidern ist schon lange bekannt, an welchen Stellen es in Schule knirscht, und das nicht nur, wenn es ums Digitale geht. Und Spiegel online berichtet als erstes über die Studie und erklärt auch gleich, warum Lehrerinnen und Lehrer Digitalmuffel sein sollen. Digitalmuffel, das steht schon im Titel des Beitrags. Lehrkräfte haben ja sonst keine Sorgen und eignen sich gut als Schuldige, mal wieder.

Nebenbei bemerkt hält der Bertelsmannkonzern, die Bertelsmann SE & Co KgaA, über seine 100%ige Tochter Gruner & Jahr 25,5% am Spiegel – aber diese Info ist ja nicht wirklich wichtig </Ironiemodus aus>.

Und so einige Medien und in diesen auch Politiker, folgen brav dem Agenda-Setting aus Gütersloh, kommentieren und machen Bücklinge.

Denken als Outsourcing. Wohlgemerkt, im Land der Dichter und Denker.

Das Ganze ereignet sich mehr oder weniger passend in einer Öffentlichkeitsumgebung, einer digitalen Gemengelage, wie sie absurder nicht sein könnte. Da springt in NRW ein neuer Wirtschaftsminister herum, der laut eigenen Aussagen „digital im Kopf“ ist, Christian Lindner, der Spitzenkandidat der FDP, wirbt auf Plakaten mit dem Spruch „Digital first, Bedenken second“, was sich unschwer mit „erst Handeln, dann Denken“ übersetzen lässt. Und was so auch nicht ganz wahr ist, denn als ehemaliger Piraten-Landtagsabgeordneter weiß ich, dass bei so einigen – nicht allen! – FDP-Politikern ein „second“ erst gar nicht stattfindet oder aber Denken durch Glauben ersetzt ist, den Glauben an den „freien Markt.“ Ranking und Wettbüros. Da sollen die digitalen Pferdchen, die Startups, in Reih und Glied zum Wettlauf aufgestellt werden, so dass wir alle setzen können. Pferdewetten eben.

Aber zurück zur Schule. Dass unsere Schulen vernünftig ausgestattet gehören, mit digitalen Infrastrukturen, Endgeräten und Lehr- und Lernmaterialien, daran besteht für mich kein Zweifel. Schließlich bin ich selbst seit 1998 zu diesem Thema tätig und habe maßgeblich mitgeholfen, den NRW-Mediendienst EDMOND NRW (Elektronische Distribution von Bildungsmedien on Demand der Medienzentren NRW) aus der Taufe zu heben (2002) und zu gestalten. Solche Mediendienste gibt es mittlerweile in allen 16 Bundesländern – achja – und kein Wort davon in der Studie. Im Gegenteil, Julia Behrens sagt auf der Seite der Stiftung, es fehle an Plattformen.

Was läuft schief? Hierzu nur eine Anekdote. So um 2008 herum gab ich eine Fortbildung zu EDMOND in einer damals schon sehr gut ausgestatteten Gesamtschule irgendwo in NRW. Die hatten da interaktive Tafeln, Whiteboards in allen Klassenzimmern. Nach Ende meines Vortrags kam eine Physiklehrerin auf mich zu – sie wird so Ende 50 gewesen sein und ist jetzt wahrscheinlich pensioniert – und beklagte sich bei mir, man hätte ihr geradezu verboten!, mit Tafel und Kreide zu arbeiten. Ein Verbot! Irgendwer hatte da nicht alle Tassen im Schrank.

Man muss dazu sagen, sie war eine wahre Meisterin des klassischen aus der Interaktion mit den SchülerInnen heraus entwickelten didaktischen Tafelbildes. Ich habe das selbst gesehen, sie zeigte mir Fotos. Die ganze klassische Mechanik – auf Schulniveau mit kleinen Ausflügen ins Universitäre, auf zwei Doppeltafeln mit farbiger Kreide entwickelt. Ein Kunstwerk, Hammer!

Entsprechend meiner Rolle habe ich ihr gezeigt, wie sie sehr leicht und mit einfachsten Mitteln – über eine Digitalkamera und die Online-Plattform der Schule – die Brücke in die digitale Welt schlagen kann, und zwar ohne! ihre hochentwickelte Didaktik zu verlieren. So sollte es gehen!

Die Studie der Bertelsmann-Stiftung – neben dem mehr schlecht als recht durchgeführten Outsourcing des politischen Denkens – hat jedoch einen ganz anderen Sinn. Was könnte das sein?

Hierzu lohnt ein Blick in eine Pressemitteilung der Bertelsmann SE & Co KgaA:

Gütersloh/New York/Mountain View, 11.11.2015 – Bertelsmann erhöht Anteil an Udacity signifikant.
Strategischer Ausbau des Bildungsgeschäfts in den USA
Udacity nach Finanzierungsrunde mit 1 Mrd. US-Dollar bewertet
Bertelsmann unterstützt Unternehmen bei Internationalisierung

Bertelsmann investiert erneut in den Ausbau seiner Bildungsaktivitäten. Das internationale Medien-, Dienstleistungs- und Bildungsunternehmen erhöht signifikant seine Beteiligung an Udacity, einem innovativen Online-Bildungsanbieter im Silicon Valley. Das Investment erfolgt im Rahmen einer Finanzierungsrunde über 105 Mio. US-Dollar und macht Bertelsmann zu einem der größten Anteilseigner des 2011 von Sebastian Thrun gegründeten Unternehmens. Insgesamt wird Udacity nun mit einer Milliarde US-Dollar bewertet; erstmals hatte Bertelsmann im September 2014 in das Unternehmen investiert. Die Transaktion bedarf noch der Zustimmung der US-Kartellbehörden.

Riecht jemand den Braten? Sieht jemand das Geschäftsmodell? Die Stiftung, der mehr als ¾ des Konzerns gehören, produziert Erkenntnisse und prognostiziert Bedürfnisse und Notwendigkeiten, auch und gerade im Bildungsbereich, für die der Konzern natürlich kostenpflichtige Dienstleistungen anbietet. Ok, ok, aber Udacity ist ja im Bereich Hochschule unterwegs. Noch.

Es wird aber klar, was der Nebel aus Gütersloh bewirkt. Nämlich das Überdecken der folgenden Erkenntnis:

Niemand braucht die Stiftung. Aber die Steuergelder, die dem Staat entgehen durch die Gemeinnützigkeit der Stiftung, die brauchen wir schon. Z.B. für die Ausstattung unserer Schulen.

Wir kriegen das hin – und zwar intelligenter und ohne Gütersloh. Der Konzern ist ja bekannt für sein qualitativ hochwertiges Bildungsfernsehen (RTL, RTL 2).

Bestes, Nick H. aka Joachim Paul.

4 Gedanken zu „Nebelhörner aus Gütersloh … zur digitalen Gemengelage im Land, diesmal: Schule! Schon wieder.

  • 22. September 2017 um 15:03 Uhr
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    Lieber Oliver,

    das ist ja das Leidige – alles bewegt sich zwischen den Polen Kulturpessimismus und Technikeuphorie – nur wenige denken darüber hinaus. Für eine neue Souveränität jenseits von Hype und Horror.
    Und es geht darum, dass, wenn in Gütersloh gefurzt wird, man das von Flensburg bis Passau und von Aachen bis Frankfurt/Oder riechen muss.
    Aber eine Kritik an der Stiftung, wenn sie aus der Landespolitik kommt, schafft es bestenfalls in ein ostwestfälisches Lokalblatt. Das ist kein Scherz. So war es kurz nach Erscheinen unserer großen Anfrage am 6. April 2016.

    Bestes, Joachim

  • 21. September 2017 um 04:15 Uhr
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    Ach ja, die Technikausstattung in der Schule…
    … konnte man sich früher noch Kreide im anderen Klassenraum mopsen, wenn die eigene gerade zur Neige ging, hat man die A….karte gezogen, wenn das elektronische Whiteboard seit dem letzten automatischen Update nur noch Mumpitz macht… (tun auch die in allen anderen Räumen).

    Technik *kann* helfen, aber sie kann auch nerven und lernhinderliche Umwege hervorbringen.

    Oh, … Computer, ein neues (?!) Medium… das muss man gleich mal ausprobieren!!!

    Dann wird der Spielkram bis zum Exzess ausgereizt, und irgendwann ist man es leid. Oder es wird zu einer Manie und man folgt jeder neuen Mode und denkt (oder sagt das zumindest), daß das DIESMAL aber wirklich alles besser wird.
    Ist wie mit den Webframeworks: regelmässig was neues, das neue bügelt Probleme der alten aus, bringt aber neue Probleme… und nach 15 bis 20 Jahren kommt man mit gaaaanz neuen Konzepten, die den alten von vor 15/20 Jahren ganz stark ähneln, aber den direkten Weg der Problemlösung hat man vergessen…

    …da gibt’s doch sicherlich eine Klasse, die einem das Addieren zweier Integer erlaubt? Muss man unbedingt dazu laden und man klopft sich auf die Schulter… oder ein neues Framework, um die Farbe zu ändern… was früher ein Einzeiler war usw.

    Nunja…

    Das Thema Technikfetischismus findet man auch hier:

    Philosoph Konrad Paul Liessmann: „Wir haben immer weniger im Kopf“

    Wischen statt Wissen: Konrad Paul Liessmann über die Idee, alle Schüler mit
    Tablets auszustatten, Technikfriedhöfe in den Schulen und handfestes Wissen
    als beste Waffe gegen digitale Lügen

    http://derstandard.at/2000058809898/Philosoph-Liessmann-Wir-haben-immer-weniger-im-Kopf

  • 17. September 2017 um 20:59 Uhr
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    Der Hinweis auf die Verfilzung von Stiftung und Konzern kann nicht oft genug wiederholt werden. Es kann auch nicht oft genug wiederholt werden, dass das niemanden in der NRW-Finanzverwaltung interessiert. Regelmäßig wird der Kommerz“stiftung“ die steuerbefreiende „Gemeinnützigkeit“ bescheinigt. So werden Steuern vorenthalten, die nicht der Allgemeinheit zugute kommen, sondern zur gelingenden Volksverdummung per „Studien“ und „Expertenmeinung“ verpulvert werden. Die zu Bertelsmann/Mohn gehörenden Zeitschriften der Unternehmensgruppe Gruner + Jahr und die Medien der RTL-Group machen entsprechende Stimmung (Propaganda), und die übrigen Medien japsen hinterher. Und die regierenden Politikcharaktermasken sowieso.

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