TOP 4 – 16.03.2017 – LT NRW – Ideologische Blockaden bei der FDP – auf die Zwölf!

Meine Rede zu TOP 4 am 16. März 2017, Ideologische Blockaden dürfen den Wirtschaftsstandort NRW nicht länger beschädigen – Landesregierung muss endlich Impulse für Wachstum und Beschäftigung setzen – Antrag der Fraktion der FDP – Drucksache 16/14389

Hier gibt’s richtig auf die Glocke. Der FDP wird nachgewiesen, dass sie selbst eher eine ideologische Glaubensgemeinschaft ist, die den falschen Theorien und Modellen der Neoklassik anhängt.

Aus dem Plenarprotokoll:
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Paul das Wort.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Dieser Antrag der FDP ist in mancherlei Hinsicht durchaus bemerkenswert. Im Titel und auch weiter im Text ist von ideologischen Blockaden die Rede. Das ist ein deutlicher Ausdruck einer eher postfaktischen Empörung, was im Folgenden zu begründen sein wird.

(Michael Hübner [SPD]: Danke!)

In der wirtschaftspolitischen Rationalität und Argumentationslogik der FDP gelangt eine ausgeprägte Nähe zur neoklassischen Wirtschaftstheorie zum Ausdruck –

(Heiterkeit von Michael Hübner [SPD])

zugegeben mit gelegentlichen kleineren Abmilderungen, die dann aber an Schwammigkeit in den Aussagen nichts zu wünschen übrig lassen.

(Beifall von den PIRATEN und Michael Hübner [SPD])

Ich referenziere hier konkret auf einen Beitrag in „DIE ZEIT“ vom 6. Januar 2017 mit dem Titel „Lindners Weg ins Ungefähre“. So ziemlich das Einzige, was nicht ungefähr ist, ist die Ausrichtung der FDP an der Neoklassik. Das hat sie mit dem SVR, den Sachverständigen aus dem Wirtschaftswaisenhaus, gemeinsam. Gewissermaßen als Adepten, also als Individuen, denen im Spätmittelalter in der Alchemie unterstellt wurde, den Stein der Weisen gefunden zu haben und somit die Herstellung von Gold zu beherrschen, interpretieren die FDPler die neoklassische Schule der Volkswirtschaftslehre als wissenschaftlich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, lieber Herr Brockes, einmal eine Frage: Ist Ihnen folgende Zahl bekannt?

(Dietmar Brockes [FDP]: Nein!)

5,974 x 10 hoch 24. Das ist die Masse unserer Erde in Kilogramm – natürlich mit Ihnen und Herrn Lindner darauf und mit allem Drum und Dran. Zugegeben: Die Zahl ist sehr groß. Aber sie ist eben endlich, und sie ist auch die Marke für eine Grenze.

(Heiterkeit von Michael Hübner [SPD] – Dietmar Brockes [FDP]: Mit Piraten oder ohne?)

– Auch. – Solche Grenzen kennt die Neoklassik aber nicht. Denn es heißt: Oh, Vater unser; Wachstum, Wachstum, Wachstum.

Obwohl – das muss man zugestehen –: Die Ökonomik war verführt von den Erfolgen der Naturwissenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, den Erfolgen von Physik und Chemie. Und sie trat an mit dem Ziel, eine Art Physik der Wirtschaft zu etablieren – ein Triumph der Messbarkeit und Vorhersagbarkeit für die Ökonomie. Was herauskam, war ein verkürztes System von Vorausannahmen, von sogenannten Axiomen, deren Hinterfragung man sich bis heute konsequent verweigert.

Hier sind einmal fünf herausgegriffen: Erstens der Homo oeconomicus, das wirtschaftlich rational handelnde Individuum, mit zweitens voller Information über einen drittens idealen freien Markt, viertens das marktwirtschaftliche Gleichgewicht eines idealen Marktes und fünftens die Substitution. Geht ein Rohstoff zu Ende, wird substituiert. Es gibt einen neuen Stoff, wo auch immer.

Ich frage mich, wie Sie in Zukunft in 19 Jahren zum Beispiel Silber ersetzen wollen. Dann ist das nämlich vorbei.

Der Homo oeconomicus mutierte zu einem Homo postfacticus, dessen Verhalten in der soziologischen Gruppe selbst den Pavianhügel übertrifft. Die Information unterliegt dem Overload. Man kann ja von einer Rosine schließlich nicht erwarten, dass sie die volle Information über den Kuchen besitzt. Und der freie Markt ist eine Fiktion.

Die Naturwissenschaft sagt heute, dass 99,9 % der Realität – das heißt gerade für die Ökonomie, dass letztlich immer alles an materielle Prozesse gekoppelt ist – einer Nichtlinearität, einer Nichtgleichgewichtsthermodynamik gehorcht.

Wir wissen heute: Die Natur kennt keine Deals. Sie ist weder bösartig noch gnädig, weil das gar nicht ihre Kategorien sind.

Die neoklassische Theorie entpuppt sich damit als eine schlechte Heilslehre, die es zudem noch nicht einmal geschafft hat, die Brücke zur Mikroökonomie, zur Spieltheorie, diesem Schnick-Schnack-Schnuck für Ökonomen, zu schließen.

Das wäre sie also, die Begründung für die postfaktische Empörung der FDP. Und die wissenschaftliche Rationalität der FDP löst sich in ein Logik-Wölkchen auf: Huhu, 42! – Aber ich mag euch von der FDP. Ihr seid manchmal einfach schnucklig.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft!)

Ich schließe mit einem fröhlichen „quod erat demonstrandum“ und bin durchaus bereit, der FDP als Partei eine deutlich größere Kompetenz als uns Piraten zuzugestehen, und zwar in Glaubensfragen. Also: Gute Nacht – oder besser: Live long and prosper, wenn ihr gelassen werdet!

Liebe Piratenfraktion, Antrag ablehnen. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN und Michael Hübner [SPD])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Remmel.

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