Liebe Vordenkerinnen, liebe Vordenker,
Dieses Mal gibts Lesens-, Schauens- und Hörenswertes von Bierter, Kronthaler, Thomas und Burckhardt ….
Nicht so ganz nebenbei bemerkt jährt sich heute Hegels Geburtstag zum 250sten Mal. Richtig, der Hegel, der G.W.F.!
Spielt das eine Rolle? Ja. Denn es passt.
Wie Gotthard Günther in seinen Gesprächen mit Claus Baldus, „Phaidros und das Segelflugzeug – Von der Architektonik der Vernunft zur technischen Utopie“ mit Seitenhieben gegen die in den 80ern zeitgenössische Philosophie, die analytische Philosophie und im Besonderen gegenüber Philosophen, die bei Kant stehengeblieben seien, bemerkt:
„Die haben Kant nicht ordentlich gelesen. Wenn sie die Passage, die in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ von der „Amphibolie der Reflexionsbegriffe“ und vom „transzendentalen Schein“ handelt, gelesen hätten, dann hätten sie gesehen, daß man ohne Dialektik nicht durchkommt.“
Und speziell zu Rudolf Carnap bemerkt er:
„dass er alles für Unsinn hält, was Platon, Thomas, Hegel und Schelling gesagt haben. Aber wenn jemand denkt, er ist mehr als auch nur ein paar Zentimeter über Platon oder Kant oder Hegel hinausgekommen, dann kann man nur sagen, er ist ’n Schwachkopf.“
Dazu äußert er sich selbstkritisch und zu Fichte und Schelling:
„Aber die sind genauso im Nebel herumgetappt wie ich, bei Hegel gibt es doch wenigstens Anhalte.“
Und die aktuellen Lehrtätigkeiten scheinen Günther – mehr als 30 Jahre nach seinem Tod – Recht zu geben, 2015 bis 2019 lief an der Universität Leipzig unter dem Titel „A Spirit of Trust“ eine Vorlesungsreihe zu Hegel mit einem der bedeutendsten zeigenössischen amerikanischen Philosophen, Robert Brandom.
Wie dem auch sei, die heute publizierten Beiträge passen – ausnahmslos alle, denn sie repräsentieren Ergebnisse dialektischen Denkens. Ob sie dem Geburtstag des großen Denkers angemessen sind, darüber mögen sich andere streiten, wenn sie es denn wollen.
Willy Bierter – der Schweizer Physiker ist unseren Leser*innen schon bekannt – seine drei hier nun veröffentlichten Texte waren Opfer der Verschiebung und hätten schon im März das Licht der Öffentlichkeit erblicken sollen. In seinen Essays, die ausnahmslos Bezüge zum Werk Gotthard Günthers einerseits darstellen aber auch aufs Neue herstellen, spiegelt sich die Komplexität des Seins, des Wahrnehmens und Handelns als Prozess – sowohl des einzelnen Individuums als des Seins mehrerer Individuen – in der Polykontexturalität der Standpunkte.
In „Wo nur anfangen?“ entwickelt Bierter eine „kleine“ Philosophie des Anfangens, neben Günther auch unter Rückgriff auf Proust, Tolstoi, Sloterdijk, Kaehr, von Foerster, Eva Meyer, u.v.a.
Geist der Landschaft entwickelt als „Ur“-Dialog zwischen Frau und Mann unter Berücksichtigung der Standpunkte beider eine gemeinsame Sicht auf die die Dialogpartner umgebende Welt, wobei der Figur des Chiasmus eine besondere Rolle zukommt.
Ein Baum, eine Frau und ein Mann thematisiert ausgehend von einem gleichnamigen superkurzen Theaterstück Heinz von Foersters Wahrnehmungen, Standpunkte, Unterscheidungen, Unterschiede und sprachliche Bezeichner und spekuliert schlüssig darüber, wie ein solches unser Reflexionsvermögen beförderndes Theaterstück im fernen Osten in China hätte geschrieben werden können. Selbstverständlich unter Berücksichtigung des Buches der Wandlungen, des Yijing.
Auch Engelbert Kronthaler ist den Leserinnen und Lesern hier längst bekannt. Endlich im Netz veröffentlicht, leider „nur“ als Bildkopie – warum wird sich Leserinnen und Lesern erschließen -, wird hier ein Aufsatz „KENOGRAMM, ZEICHEN HINTER / UNTER ZEICHEN“, der 1985 anlässlich des 75. Geburtstags von Max Bense entstand. Hier begibt sich Kronthaler vermittels Kenogrammen hinter/unter die Zeichen.
Sein Essay „Sagt nicht Wasser! Wasser!“ zur Ausstellung „Großer Fluss“ des Künstlers Klaus Becker, Kunstverein Lippstadt 16. Mai bis 11. Juli 2004, ist bebildert mit Fotos der Ausstellung in Anlehnung an den im Druck erschienenen Ausstellungsband und erlaubt somit einen – wenn auch nur im Netz und im Medium von Text und Bild – verspäteten Ausstellungsbesuch, der es optisch, haptisch und buchstäblich in sich hat. Mehr soll hier nicht verraten werden.
Soon to come: Von Engelbert Kronthaler sind weitere Arbeiten in Vorbereitung.
Anfang des Jahrtausends entstand ein Videovortrag des Mathematikers Gerhard G. Thomas, der in den 80ern zur kleinen Arbeitsgruppe an der FU Berlin gehörte um Claus Baldus, Joseph Ditterich, Klaus Grochowiak Rudolf Kaehr und Engelbert Kronthaler, die sich mit der Philosophie Gotthard Günthers, mit Polykontexturalität, Keno- und Morphogrammatik auseinandersetzte. In diesem Rahmen entwickelte Thomas seine Theorie der Permutographen, eine mathematische Theorie, die eine systematische Beschreibung und Analyse der Günther‘schen Negationszyklen erlaubt. In seinem Videovortrag „Leben als Ort, Symbol, Relation, Struktur und Wandel – auf dem Weg zur transklassischen Maschine“ gibt er eine Einführung in seine Permutographentheorie. Hierzu wurde neben der Online-Version des Videos ein vollständiges Transkript angefertigt, dessen Editorial weitere Informationen zu Werk und Person enthält.
Last but not least wollen wir ewas tun, was wir auch schon früher hätten tun sollen, nämlich auf Philosophie Online, auf die großartigen Videobeiträge von Martin Burckhardt zu Philosophie der Maschine hinweisen. Burckhardt betreibt einen eigenen youtube-Kanal um die Reflexion über die Philosophie der Maschine sich im Medium der Maschine Netz ereignen zu lassen. Mittlerweile existieren über ein Duzend etwa 40-minütige Beiträge. Die Reihe wird fortlaufend erweitert. Relevante Kost für den philosophischen Gourmet für alles zwischen und jenseits von Zustimmung und Widerspruch.
Viel Spaß beim Stöbern, Lesen, Hören und Schauen,
Ihr Joachim Paul (Hrsg.)
Zur Layoutmaschinerie von GGT:
https://en.wikipedia.org/wiki/Force-directed_graph_drawing
Lieber Herr Dethloff,
besten Dank für Ihren Kommentar, den ich erst heute – Schimpf und Schimmel über mich – aufgrund von zuviel Arbeit im Job 😉 gesehen habe. Ein solches Tool hätten wir auch gerne. Schon möglich, dass von seiner Software etwas erhalten ist bei seinem Patentpartner Bernhard Mitterauer. Ich bezweifle das aber, bin aber gleichwohl weiter auf der Suche. Theoretisch ist wohl alles gesagt in seinen beiden Aufsätzen On Permutographs I und II. Aber trivial umzusetzen ist das nicht. Kronthaler sagte, dass die Idee von einem Physikerfreund von GGT stammt, dreidimensional und mit Fliehkrafteffekten. Eine P-graphen hinzeichnen kann man immer, es gibt nur nicht automatisch so einen schönen Körper. Auf jeden Fall bleibe ich da dran, und wenn sich was finden sollte, sage ich bescheid. Bestes, JP
Ted Nelson on ZigZag® Data Structures (by Arthur Bullard)
https://www.youtube.com/watch?v=n22A-Say7do
Ganz lieben Dank für diesen Blogpost. Sehr interessant finde ich den Videovortrag von Gerhard G. Thomas. Dazu habe ich eine Frage. Ist ein Tool bekannt, mit dem ich Permutographen erzeugen kann? Danke.
BG, Conny Dethloff
Ach, wo wir gerade bei Hegel waren 😉
Meines Geschmacks nach eine ausgezeichnete / sehenswerte Sendung zu Hegel:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel – Was vom Philosophen bleibt | Sternstunde Philosophie | SRF Kultur
https://www.youtube.com/watch?v=SXidEQGvvsg