vordenker news Oktober 2019

Liebe Vordenkerinnen, liebe Vordenker,

im März erhielten Sie den letzten Newsletter. In der Zwischenzeit konnten wieder einige Werke für die Online-Publikation vorbereitet werden. Deren Stichworte lauten u.a.: Kenogrammatik – Semiotik – Selbstreferenz – Kontexturalität – Logikwechsel – Systemtheorie – Polykontexturale Architektur

Dieses Mal stellen wir fünf Aufsätze von zwei Autoren bereit, die man mit Fug und Recht als unabhängige freie Forscher bezeichnen kann. Einer der Aufsätze entstand in Co-Autorenschaft mit zwei weiteren Autoren. Vier der Aufsätze liegen auf Deutsch und Englisch vor – für unsere internationalen Leser*innen. Bei den Übersetzungen half die Kölner Übersetzungs-KI deepl.com, über die erste Rohversionen erstellt wurden.

Direktzugriff für Ungeduldige:

Rudolf Matzka: Semiotic Abstractions in the Theories of Gotthard Günther and George Spencer Brown (bilingual)

Rudolf Matzka: Klassische Kenogrammatik – Eine semiotische Ortsbestimmung // Classical Kenogrammatics – A Semiotic Localization

Joseph Ditterich: Logikwechsel und Theorie selbstreferentieller Systeme

Joseph Ditterich: Contexturality: System-Reframing for Self-Reference // Kontexturalität: System-Neustrukturierung für Selbstreferenz

Joseph Ditterich, Doris & Ralph Thut: KAWASAKI – Konzept-Design für einen Intelligent Plaza – Concept-Design for an Intelligent Plaza (bilingual)

Zu den Autoren und Themen:

Der Mathematiker und Volkswirt Rudolf Matzka beschäftigt sich in den 80er Jahren u.a. mit Fragen der organisatorischen Vermittlung verteilter Systeme, u.a. zusammen mit Joseph Ditterich, dem zweiten Autoren dieser Ausgabe. Diese Arbeit wurde bereits 2017 hier online gestellt, im Zuge des Aufbaus des Rudolf Kaehr-Archivs.

Bis heute setzt sich Matzka mit Gotthard Günthers Philosophie und ihren formalen Aspekten und Konsequenzen auseinander. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Kenogrammatik.

Bereits 1993 veröffentlichte er einen Aufsatz im „Journal for Philosophy and Psychology“ in der Ausgabe „Mind & Logic“ mit dem Titel „Semiotic Abstractions in the Theories of Gotthard Günther and George Spencer Brown„, in dem er in Browns Gesetzen der Form und in Günthers Kenogrammatik semiotische Innovationen identifiziert und diese im Rahmen der klassischen Theorie der Zeichenketten formal rekonstruiert.

„Gotthard Günthers Theorie der „Polykontexturalen Logik“ und George Spencer Browns „Gesetze der Form“ sind beide ziemlich revolutionäre Abweichungen von der klassischen Logik, […]. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die beiden Theorien wenigstens ein weiteres Merkmal gemeinsam haben: Ihre Abweichung von der klassischen Logik findet nicht nur auf der Ebene der logischen Regeln statt und nicht nur auf der Ebene der grammatikalischen Regeln, sondern auch auf der Ebene der semiotischen Regeln. Das heißt, weder die „Polykontexturale Logik“ noch die „Gesetze der Form“ können innerhalb der Grenzen des klassischen Konzepts „Zeichenkette“ angemessen dargestellt werden. […] Diese semiotische Dimension der Innovation scheint Dasjenige zu sein, was diese beiden Theorien so revolutionär macht, und das kann durchaus ein Grund sein, warum sie für den Mainstream so schwer zu akzeptieren sind.“

Hier Weiterlesen – der Text liegt in einer bilingualen Version vor.

Im Aufsatz „Klassische Kenogrammatik – Eine semiotische Ortsbestimmung“ (2010), der auch als Fortsetzung gelesen werden kann, wendet sich Matzka ganz der Kenogrammatik zu und deckt bei Gotthard Günther Parallelen auf zur Identitätskritik der buddhistischen Philosophie des mittleren Wegs. Und nicht so ganz im Vorbeigehen erfährt Günthers Begrifflichkeit der „Negativsprache“ eine zusätzliche Erläuterung aus einem zeichentheoretischen Blickwinkel. Während in „Semiotic Abstractions“ eher formale Aspekte betont sind, stellt Matzka in „Klassische Kenogrammatik“ die Systematisierung in den Vordergrund und führt den Begriff „Kenom“ für das Zeichenatom der Kenogrammatik ein.
-> zur englischen Version

In seinem Aufsatz „Logikwechsel und Theorie selbstreferentieller Systeme“ versucht Joseph Ditterich „die von Gotthard Günther geleistete Sinnanalyse der klassischen Logik, die ihm eine grundlegende Erweiterung im Bereich der logischen Form eröffnete, auf eine mengentheoretische Formulierung der Systemtheorie zu übertragen.“ Es geht ihm dabei „ausschließlich um eine Analyse der Grundstruktur der Komponenten […], aus denen sich Systeme und ihre Prozesse bilden,“ was „paradigmatisch an der Mengenlehre und ihrer Logik“ gezeigt werden kann. „An dem Verhältnis von Teilen und Ganzem“ so Ditterich weiter, entscheide „sich die Möglichkeit selbstreferentieller Systeme. Dass diese Möglichkeit einen Wechsel der Logik als Fundierung der Systemtheorie erfordert, soll anhand der Güntherschen Untersuchungen zur klassischen Logik und seiner transklassischen Logikkonzeption dargestellt werden.“

Kontexturalität: System-Neustrukturierung für Selbstreferenz

„In der Beziehung zwischen dem Begriff eines Systems und dem Phänomen der Selbstreferenzialität dominiert noch immer ein konservativer Standpunkt in Bezug auf die Logik. Der von Gotthard Günther eingeführte Systembegriff der Kontexturalität ist das Ergebnis einer radikalen Veränderung der logischen Grundlagen von Systemen.“

In „Kontexturalität: System-Neustrukturierung für Selbstreferenz“ zeigt Ditterich,

„wie Günthers Einführung des philosophischen Themas der subjektiven Selbstreflexion in seine Konzeption einer mehrwertigen Ortswerte-Logik die Funktion der Selbstreferentialität in Bezug auf ein System umkehrt. […] Die Selbstreferentialität eines Systems in seiner minimalen, aber entfalteten Organisation ist nur möglich, wenn dieses System mit anderen Systemen oder Kontexturen in Verbindung steht oder von diesen umgeben ist. In der klassischen zweiwertigen Logik gibt es keine Möglichkeit für eine Konzeption einer Vielzahl elementarer logischer Systeme. Die Identifizierung einer zweiwertigen Logik mit einer Elementarkontextur erzwingt die Einführung einer polykontexturalen Logik für eine operative Fundierung selbstreferentieller Systeme.“

Hier weiterlesen – -> zum englischen Originaltext

In „KAWASAKI – Konzept-Design für einen Intelligent Plaza // Concept-Design for an Intelligent Plaza„, das 2007 in einer bilingualen Print-Ausgabe erschien, wendet sich Joseph Ditterich zusammen mit den Architekten Doris und Ralph Thut anwendungsbezogenen Fragestellungen zu.

Aus dem Vorwort zu KAWASAKI von Doris Thut (2007):

„Mit einer provokativen Forderung endet der hier veröffentlichte Text aus dem Jahr 1986. Selbst für die Mitverfasser stellt der als Wettbewerbsbeitrag entstandene Text in seiner Konsequenz auch heute eine ungemindert große Herausforderung dar. Der Text – im weiteren Kawasaki genannt – ist ein Projekt der Polycontextural Arch Group, die damals mit der Absicht einer intensiveren Zusammenarbeit zwischen dem System- und Objekttheoretiker Joseph Ditterich und den Architekten Doris u. Ralph Thut gegründet wurde. Das gemeinsame Interesse an den Arbeiten des Philosophen und Logikers Gotthard Günther seit Anfang der 70er Jahre hatte die Mitglieder jedoch schon vorher zu sporadischen Kooperationen zusammengeführt, die 1982 in das interdisziplinäre Projekt „Architektur und Komplexität“ mündeten. Ohne diese inhaltliche Vorarbeit wäre der Beitrag für Kawasaki City nicht möglich gewesen. Das Programm des Wettbewerbs („Campus City Kawasaki“) formulierte erstmals einen kulturpolitischen Anspruch, der über die bloße elektronische Vernetzung öffentlicher und privater Einrichtungen, also die Bildung eines „Knowledge based Networks“ in der Stadt Kawasaki, hinausgeht. Es sollte über die Bedeutung dieser „intelligenten“ Vernetzung (CAN: Campus Area Network) für den öffentlichen Raum nachgedacht und neue identitätsstiftende öffentliche Räume an den „Terminals“ der neuen Medien entwickelt werden. Das hier vorgestellte theoretische Modell eines „intelligenten“ Raumsystems handelt nicht von elektronisch gesteuerten Mechanismen, die den Menschen die Handhabung verschiedener funktionaler Elemente abnehmen können, sondern von der möglichen zukünftigen Weiterentwicklung des architektonischen und städtischen Raumes. Kawasaki ist ein Beitrag, der der Moderne (und ihren nachfolgenden Ismen) eine grundlegende Perspektive aufzeigt und zur Diskussion stellt.“

Weiterlesen – bilinguale Version.

Eine Kurzbiographie Ditterichs findet sich in KAWASAKI auf Seite 112.

Viel Spaß beim Lesen und Studieren wünscht,

Ihr Joachim Paul (Hrsg.)

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